Foto: Adobe Stock

Plattdeutsch – Eine Sprache wie ein Gefühl

In der Tasche kramend suche ich im Supermarkt den zu 100% geschriebenen und ganz bestimmt eingepackten (!) Einkaufszettel als auf einmal Plattdeutsch-Frequenzen von irgendwo her an meine Ohren dringen. Dann kann ich mir einfach nicht mehr helfen – der Zettel ist kurz egal, das Küstenherzchen fängt an zu bubbern und plötzlich erwische ich mich zwischen Gurken und Kartoffeln mit einem, für norddeutsche Verhältnisse, unnatürlich breiten Grinsen im Gesicht. 

Plattdeutsch ist für mich so viel mehr als nur irgendeine Regionalsprache. Der Klang trägt Erinnerungen, Gerüche und Geschmäcke von früher, den Spaß von morgen und bereitet immer wieder so ein muckeliges Heimat-Gefühl. Du weißt schon. Dieses Decke-Wärmflasche-dicke Socken-Tee-mit-Kluntje-, dieses Oma-hat-extra-viele-Bomboisies-gebacken- oder dieses Schietwetter-mir-egal-ich-geh-trotzdem-an-den-Strand-Gefühl (am besten danach alles von Nr. 1 mit Bomboisies von Nr. 2 in die Tat umsetzen). Bist du mit Platt in der Familie aufgewachsen? Opa, Onkel oder vielleicht auch die Nachbarin von nebenan hatte immer den neusten Schnack auf den Lippen? Dann kommt dir das Gefühl vielleicht bekannt vor. Trotzdem können viele von uns Platt leider weder besonders gut verstehen noch fließend sprechen. Aber wie kann man eine Sprache denn so sehr lieben und so schlecht schnacken?

Das Image-Problem

Meine verbesserungswürdigen Plattdeutsch-Kenntnisse haben ihre Wurzeln in einer Ansage meiner Mutter an meine Großeltern: „Und wehe… WEHE, *dramatische Pause*, ihr sprecht mit dem Kind Plattdeutsch!“ Aus meiner Perspektive ist das natürlich unverständlich – eine pure Verschwendung von Wissen,  Kompetenz und Wurzeln. Aber wie so oft: Eine Mutter will im Idealfall nur das Beste für ihr Kind, so wie meine für mich. Sie ist in einer Zeit aufgewachsen, in der das Niederdeutsche in vielen Regionen ein echtes Image-Problem hatte. Auf dem Land sprachen Eltern oft ausschließlich Platt mit ihren Kindern. Spätestens bei der Einschulung gab es dann ein böses Erwachen: Viele Kinder konnten schlicht kein Hochdeutsch, waren als „Landkinder“ oder „Bauernkinder“ entlarvt und dem Hohn und Spott der anderen Kinder und leider auch der Lehrer ausgesetzt. Dass Plattdeutsch mal so einen gewaltigen Image-Wandel erlebt, auf den vermutlich selbst Miley Cyrus neidisch wäre, war für sie unvorstellbar.

„Und wehe… WEHE, ihr sprecht mit dem Kind Plattdeutsch!“

Gut aufgeschnappt ist halb gewonnen

Tragischerweise hielten sich meine Großeltern an die Anweisung und sprachen nur Hochdeutsch mit mir. Doch Labskaus-essend am Küchentisch oder mit Freunden und Bekannten beim Tee, sabbelten sie trotzdem in meiner Anwesenheit fleißig weiter Platt. Das war mein Glück. So spreche ich heute nicht fließend aber die Sprachmelodie steckt mir im Blut und verstehen klappt, je nach Region, sehr gut bis „Ohauahauaha.“. Dort, wo das Plattdeutsche früher sehr präsent war, haben sich einzelne Wörter oder Sätze häufig im alltäglichen Sprachgebrauch etabliert. Auch junge Menschen, die eine Regionalsprache nicht sprechen, aber, so wie ich, damit aufgewachsen sind, können ohne Schwierigkeiten plattdeutsches Vokabular in einen hochdeutschen Satz integrieren. Diese Wörter werden ganz natürlich in den aktiven Wortschatz übernommen. Am hartnäckigsten halten sich selbstverständlich Redewendungen oder Begriffe, die man als Kind oft gehört hat.

Spoiler: “Feudel” funktioniert im Süden nicht

Als ich dann meine geliebte Nordsee für das Studium gegen Berge eintauschte, wurde mir schlagartig etwas bewusst: Offenbar spreche ich gar nicht so ein lupenreines Hochdeutsch wie gedacht. Eines lauen Spätsommerabends in Freiburg trafen mich die fragenden Blicke meiner Mitbewohnerin. Auf meine Frage, wo denn der Feudel abgeblieben sei, antwortete sie: “Das würde ich dir ja gerne sagen aber ich hab echt keine Ahnung, was das ist.” Huch? Wer hätte gedacht, dass Feudel nicht in der ganzen Republik funktioniert? Ich meine – Feudel! Also, ich nicht.