Foto: Nina Brockmann

Danke, Unbekannter: Warum alleine reisen großartig ist

Alleine reisen. Zwei Worte mit vielen Gefühlen. Irgendwas zwischen Mut, Angst, Unsicherheit, Freude, Spannung, Glück. Aber was ich nicht empfunden habe: Einsamkeit. Das verdanke ich einerseits dem Rückhalt meiner Familie und Freunde, dem unglaublich gastfreundlichen Land Kanada, aber auch meiner eigenen Stärke. Zudem haben mir viele im Vorhinein Mut zugesprochen und gesagt: Es wird eine einmalige Erfahrung sein. Jeder sollte es einmal ausprobiert haben. Und da schließe ich mich an: Wer nicht alleine reist, ist doof. Egal, ob in einer Beziehung oder single: Do it!

Du lernst nicht nur viel über dich selbst, du begegnest den Leuten auch ganz anders. Und sie dir. Ich bin der festen Überzeugung: Viele der kurzweiligen Begegnungen und Bekanntschaften, die ich gemacht habe, sind aus meinem Alleinsein heraus entstanden. Vielleicht auch, weil ich meine Offenheit und mein Glück, meine Dankbarkeit über diese Reise, irgendwie ausgestrahlt habe. Und weil es Kanada ist. Weil Kanada weltoffen ist. Die Menschen zufrieden, freundlich, irgendwie ausgeglichen. Und damit auch unglaublich nett und zuvorkommend.

Be the type of person you want to meet.

Solche Begegnungen beginnen als Alleinreisender schon im Flugzeug. Sieben Stunden neben mir: ein Inder. Auf der Rückreise in seine Heimat Montreal. Nett, null aufdringlich. Ich habe ihn leider kaum verstanden, was ihn aber nicht an seiner Nettigkeit gehindert hat. Wohin die Reise geht und woher wir kommen, ist der Aufhänger. Von da an unterhalten wir uns immer mal wieder. Gut, wenn dein Sitznachbar kein komischer Kautz ist und kein Fremder bleibt.

Wir unterhalten uns auch darüber, ob und wie das WLAN im Flieger funktioniert. Von da an bin ich seine Freundin. Er gibt mir jedes Mal Bescheid, wenn das (fucking) WLAN Anzeichen macht, zu laufen. Sichert mir eine Flasche Wasser, als ich gerade schlafe. Auch das Einreiseformular steckt er mir in meine Sitztasche, als mir schon wieder die Augen zugefallen sind. Und als ich in meiner Tasche nach einem Stift krame, hält er mir schon seinen hin. Kurz vor der Landung erklärt er mir noch, wie ich vom Flughafen wegkomme. Das hat mir sehr geholfen, mich im ersten Moment zurechtzufinden. Danke, Unbekannter.

Schön, dich kennenzulernen

Solche Begegnungen hatte ich einige. Viele Menschen lächeln dich auch einfach auf der Straße an. Oder grüßen dich sogar im Vorbeigehen. Wo du dich fragst: Denkt diese Person, wir kennen uns? Oder du wirst für einen „local” gehalten und selbst nach dem Weg gefragt. Ein leicht verwirrter Mann in Anzug will in Downtown Toronto zum Beispiel von mir wissen, wo es zum St. Lawrence Market (Old Town) geht. Da komme ich zufällig gerade her und versuche, es ihm zu beschreiben. Dafür ist er so dankbar, dass er mir die Hand schüttelt und mich fragt, wie ich heiße. Seine Antwort: „Es war schön, dich kennengelernt zu haben.” Dann verschwindet er.

I’M in Love with cities I’ve never been to and people I’ve never met.

Am selben Tag stehe ich an einer Straßenecke und frage mich, in welche Richtung ich gehen soll. Man sieht es mir wohl an, eine Frau taucht wie aus dem Nichts auf und fragt: „Are you looking for someone?” Ich erkläre ihr, dass ich nicht weiß, welche Straße die sehenswertere ist. Sie ist froh, mir zu helfen („This one is definitely nicer!”) und begleitet mich sogar noch ein Stückchen, lächelnd.

Dann sehe ich ein Fotomotiv. Ich muss ein Foto vor diesem Graffiti haben, frage ein junges Pärchen mit Kinderwagen. Die Frau übernimmt meine Handykamera. Steht erst schüchtern und weit weg von mir und dem Motiv. Kommt dann näher und wird richtig ehrgeizig, ein gutes Foto für mich zu schießen. Sie ist genervt von dem Schild am oberen Bildrand – das störe das Motiv. Ich muss lachen, bin froh über diese Begegnung, sie ist so süß. Danach schnacken wir noch kurz. Ihr Mann will wissen, wo ich herkomme, was mich antreibt. Ich frage im Gegenzug nach seinem französischen Akzent. Die beiden kommen aus Quebec City und sind auch im Urlaub. Es klingt so banal, aber es war eine wirklich herzerwärmende Begegnung. Und das Foto ist wirklich spitze geworden.

Germans know hoW to travel

Frühstück im “Simit & Chai” im Stadtteil King West. (Foto: Nina Brockmann)

Von diesen Begegnungen gibt es noch einige mehr. Vor allem, weil sich viele oft gegenseitig angesprochen haben, um Fotos voneinander zu machen oder nach dem Weg zu fragen. Kurz vor meiner Abreise saß ich zum Beispiel in einem Café im Stadtteil King West in Toronto. Ich hatte mein Frühstück noch nicht wirklich vollendet, musste aber mal auf die Toilette. Ich fragte den vertrauensvoll wirkenden, am Laptop beschäftigten Mann am Nebentisch, ob er kurz auf meine Sachen aufpassen könne. Als ich zurück bin, bedanke ich mich höflich und er beginnt ein Gespräch.

Er erkenne an meinem Akzent, dass ich aus Deutschland komme. Der Beginn eines der interessantesten Gespräche während meiner Reise. Er ist Schauspieler, gerade dabei sich am Laptop eine eigene Website zu basteln. Wir unterhalten uns über unsere kreativen Berufe, über das Schreiben und das Reisen. Er interessiert sich schlichtweg für mich und was ich während schon gesehen und erlebt habe. Er entgegnet: „Germans know how to travel”. Das bemerke er immer wieder.

Dann erzählt er mir von seinem großen Haus direkt um die Ecke. Eine Ferienwohnung darin vermiete er via Airbnb. Denn: Er lerne gerne neue Leute kennen. Die Schauspielerei (und der Typ ist nicht ohne!) finanziere seine Rente. Nebenbei gebe er ehrenamtlich Englischunterricht für Flüchtlinge. Er schätze sich sehr glücklich, so ein Leben führen zu können. Und das sieht man ihm an. Er strahlt Ruhe, innere Zufriedenheit, gleichzeitig Offenheit und eine warme Fröhlichkeit aus. Dennoch muss ich langsam leider aufbrechen. Da schließt er sich doch glatt an und möchte mir noch sein Haus zeigen. Wir tauschen Kontaktdaten aus und wer weiß, vielleicht werde ich ja das nächste Mal in seiner Ferienwohnung übernachten.

Ich habe mich auch lange mit einem Inder unterhalten, der einen Laden im Stadtteil Kensington Market in Toronto besitzt. Ich habe dort eine Art Wandteppich kaufen wollen und mich beraten lassen, welcher indische Gott der richtige für meine Persönlichkeit ist. Dadurch habe ich eine weitere sehr inspirierende Geschichte gesammelt. Eines Mannes, der zwischen Toronto und seiner Heimat, einem Dorf in Indien pendelt. Der das Leben in Kanada hasst. Es „kein Leben” nennt. Die Leute seien rund um die Uhr beschäftigt und immer im Stress. In Indien sei das anders. Dort genieße man das Leben und das einfache Beisammensein mit Familie und Freunden in großen Runden. Dann habe man keine Sorgen. Dort, in Indien, führe er Touristen umher – mit Flussbooten und auf Wandertouren. Deswegen erkenne er auch meine Herkunft direkt an meinem Akzent. Seine Lebenseinstellung begeistert mich. Warum er überhaupt in Kanada ist, frage ich ihn: „Politics in India is so bad”, ist seine Antwort. Er würde nur in Indien sein wollen, wenn er könnte.

Ich möchte noch zwei weitere Begegnungen teilen: Von einem Backpacker aus Neuseeland, der seinen Job gekündigt und sein Leben in einen einzigen Rucksack gepackt hat, um die Welt zu bereisen. Seit drei Monaten sei er bereits unterwegs – habe Kroatien, Griechenland und Italien besucht, bevor er nach Toronto gekommen ist. Er hat als Projektmanager gearbeitet, seine Eigentumswohnung in Wellington hat er untervermietet. Er hat kein Returnticket und weiß auch nicht, wohin ihn der Weg als nächstes führt. Warum er seinen Job aufgegeben hat, frage ich mich. So viel Stress, Druck, vielleicht Mobbing am Arbeitsplatz? Nein, gar nicht mal. Sein Job sei „okay” gewesen, die Kollegen nett – es gab einen Billardtisch und eine eigene Kaffeemaschine. Doch irgendwann dämmerte es ihm: Das kann nicht alles gewesen sein. Er will mehr. Mehr sehen, mehr erleben, mehr erfahren. Er wolle sich unterwegs jetzt auch Jobs suchen, am liebsten in seiner Branche. Und maximal ein halbes Jahr an einem Ort bleiben. Seine Freunde auf der ganzen Welt besuchen.

Positiv verwirrt

Die letzte Begegnung ereignete auf meinem Weg zum Flughafen. Weil ich so gierig war – ein Kilo Erdnussbutter und auch noch Ahornsirup kaufen musste – war mein Koffer ziemlich schwer (oh, eine Nettigkeit am Rande: Selbst meine zwei Kilo Übergewicht hat der nette Kanadier am Schalter so durchgehen lassen.). Jedenfalls war mein Koffer schwer und ich habe mich auf den Treppen am Hauptbahnhof ziemlich abgerackert. Beziehungsweise hatte ich mal gerade eine Stufe geschafft, als von hinten ein chinesischer, selbst nicht gerade muskelbepackter Mann angerauscht kam, meinen Koffer schnappte und dann die Treppen hinaufgaloppierte.

Ich war total perplex, hatte nicht mal wirklich sein Gesicht sehen können, rief nur noch hinterher „It’s quite heavy!” und stiefelte ihm nach. Trotz Koffer war er mindestens doppelt so schnell wie ich und als ich oben ankam, hatte er meinen Koffer am Ende der lange Treppen abgestellt und war von Dannen gezogen. Ich musste einfach nur grinsen. Immerhin konnte ich diese Freude mit jemand anderem teilen, der die Situation mitbekommen hatte und genauso positiv verwirrt war. Und weil ich meine Kreise so gerne schließe: Danke, Unbekannter.

Neben den vielen Menschen, die meinen Trip bereichert haben, sind mir auch drei Dinge klar geworden, die meiner Meinung nach eine gute Reise ausmachen (diese „Tipps” lassen sich natürlich auch auf Pärchenreisen oder Trips mit Freunden oder Familie übertragen):

  1. Just wander
    „Wie ist heute dein Plan, was hast du so vor?”, war die ersten Urlaubstage eine häufige Frage meiner Lieben daheim. Diese haben sie sich dann im Laufe der Zeit gespart, weil meine Antwort eigentlich immer war: „Ich weiß es noch nicht. Ich laufe einfach los.” Und das habe ich getan. Tag für Tag. Richtung für Richtung. Bis am Ende der 10 Tage fast 150 Kilometer auf meinem „Tacho” standen. Ausgestattet war ich nur mit einer schlichten Karte, ohne Wifi unterwegs. Natürlich hatte ich mir zuvor grob einige Dinge eingekreist, die ich „besuchen” wollte. Coole Neighbourhoods, süße Gassen, wichtige Denkmäler oder Parks. Doch ich habe es mir nie wirklich vorgenommen in dem Sinne oder mich strikt dran halten wollen.

    Manchmal habe ich einen niedlichen Laden unterwegs gefunden, in dem ich „ausversehen” ein bis zwei Stunden verbracht habe. Manchmal habe ich mich verlaufen (ja, man sollte die Entfernungen in Kanada nicht unterschätzen) und manchmal, da habe ich mich auch einfach in den Park gelegt, bis mir nicht mehr nach liegen war. Was ich sonst auch gerne vorab meiner Reisen getan habe: Restaurants recherchieren und im Urlaub „abklappern”. Hippe Lokale, von denen ich zuvor zum Beispiel auf Instagram oder Pinterest erfahren habe, die ich unbedingt besuchen wollte. Doch auch diesem „habit” habe ich bei meinem jetzigen Trip einen Strich durch die Rechnung gemacht. Denn im Prinzip war es immer nur Stress. „Oh, ich habe Hunger, wir müssen jetzt zu dem und dem Lokal sprinten.” Nein. Auch hier habe ich mich treiben lassen. Denn auch unterwegs findet man viele gute Essensmöglichkeiten, wenn man weiß, was man mag und wonach einem gerade ist.

  2. Do what locals do
    Misch’ dich unters Volk. Unternimm’ nicht nur touristische Dinge, sondern Hobbies. Dinge, die du auch zu Hause gerne machst. Die du gerne in deiner freien Zeit einfach nur für dich tust. Bei mir ist die Wahl auf Yoga gefallen. Ich habe mir im Urlaub keinen Druck gemacht, Sport zu treiben. Aber Yoga ist für mich eben mehr als das. Es ist Ausgleich, Entspannung, Forderung und irgendwie auch Denken, Gedanken verarbeiten, zugleich.

    Hätte ich kein Studio gefunden, wäre das natürlich auch so gewesen. Aber wie gesagt: Ich bin einfach losgelaufen und habe auf diese Weise auch ein Yogastudio gefunden, mich dort informiert und am nächsten Morgen gleich an einer Stunde „Hot Yoga” teilgenommen. Und ohne Scheiß: Das war eine der besten Sessions, die ich je hatte. Wenn nicht sogar DIE beste. Ich war nach der ersten Stunde so angetan, dass ich nächsten Tag wieder hingegangen bin. Und den Tag darauf auch – so oft es mir möglich war. Weil es mir so viel gegeben hat. Vielleicht habe ich diese Anonymität auch ein wenig genossen. Es ist irgendwie cool, – als Fremder und auf Zeit – sein Leben in einer Stadt auf der anderen Seite der Welt zu leben.

  3. Connect to home
    Der Zeitunterschied, wenn man denn eine Fernreise antritt, kann einem ganz schön zu schaffen machen, was den Austausch mit den Lieben daheim betrifft, der mir besonders wichtig ist.

    Einen Tag nichts von meiner besten Freundin oder meiner Mutter zu hören – das verkrafte ich zwar, finde es aber nicht schön. So gehörte es für mich zum Urlaub dazu, mir möglichst früh den Wecker zu stellen (meistens so um sieben Uhr rum), um zum Start in den Tag den Kontakt mit meiner Familie zu pflegen. Zu reden, über die Dinge, die ich erlebe und die zu Hause passieren. Das mag vielleicht wie „nicht richtig loslassen oder abschalten können” wirken. Ist es aber irgendwie nicht. Gerade diese zwei Stunden am Morgen, die ich in einem Café saß, vertraute Gespräche genossen und die Zeit vergessen habe, haben mir vor allem auch die Kraft gegeben. diese Reise und diese neue Erfahrung, so gut durchziehen zu können. Ich danke euch von Herzen dafür.

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