Meinung – NORDKIND http://nordkind.blog Tue, 22 Aug 2017 17:43:57 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.8.1 http://nordkind.blog/wp-content/uploads/2017/04/cropped-favicon-32x32.png Meinung – NORDKIND http://nordkind.blog 32 32 Was wir von „Charlie und die Schokoladenfabrik“ lernen können http://nordkind.blog/geschichten/meinung/was-wir-von-charlie-und-die-schokoladenfabrik-lernen-koennen http://nordkind.blog/geschichten/meinung/was-wir-von-charlie-und-die-schokoladenfabrik-lernen-koennen#respond Tue, 22 Aug 2017 17:23:22 +0000 http://nordkind.blog/?p=4974 Ich, ich, ich: Heute gibt es immer mehr Einzelkämpfer in unserer Gesellschaft. Ist das gefährlich? Was wir von einem Kinderbuch über die Konsequenzen und die Auswegmöglichkeiten lernen können. I n letzter Zeit denke ich oft darüber nach, wie es wohl ist, eigene Kinder zu haben: Wie wird es sein, die Verantwortung für das kleine Wesen […]

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Ich, ich, ich: Heute gibt es immer mehr Einzelkämpfer in unserer Gesellschaft. Ist das gefährlich? Was wir von einem Kinderbuch über die Konsequenzen und die Auswegmöglichkeiten lernen können.

I n letzter Zeit denke ich oft darüber nach, wie es wohl ist, eigene Kinder zu haben: Wie wird es sein, die Verantwortung für das kleine Wesen zu übernehmen, es aufwachsen zu sehen und immer für es da zu sein? Zu was für einem Menschen wird es sich wohl entwickeln? Wie wird es durch seine Umwelt geprägt werden? Welche Ratschläge kann ich ihm geben, um diese Welt besser zu verstehen? Diese Welt, die anscheinend immer komplexer und diffuser wird. Anders gefragt: Wie soll sich mein Kind später zurecht finden, wenn ich es heute manchmal selbst kaum für möglich halte?

Tendenz: Kein Zusammenhalt, mehr Einzelkämpfer

Der Anlass: Vor kurzem hatte ich in Bremerhaven Besuch von einer Freundin. Sie wohnt mit ihrem Ehemann und ihren zwei kleinen Kindern, das eine 4 Jahre, das andere 7 Monate, in Frankfurt. Meine Freundin und ich kennen uns aus dem Studium. „Weißt du was, Janina”, beginnt sie mit ihrer Erzählung, während wir bei der Großen Kirche auf unseren Cappuccino warten,  „wir waren letztens auf dem Spielplatz, weil Amelié auf so eine Kletteranlage wollte. Da ist ihr ein Junge auf die Hände getreten und hat dabei gesagt: ‚Du darfst hier nicht spielen.’ Sag mal, wer macht denn so was? Was ist los mit den Kindern und unserer Gesellschaft?”.

Was los ist? Ich denke oftmals, dass unser gesellschaftliches Miteinander heutzutage leidet. Nicht, weil ein Kind dem anderen auf die Füße tritt – das war sicherlich schon immer so -, sondern weil unser gesellschaftliches Miteinander in Zeiten der Globalisierung weniger nötig ist als früher. Wir sind unabhängiger und brauchen einander weniger, um zu überleben. Wie immer hat die Medaille dabei zwei Seiten: Keine Grenzen und viele Freiheiten zu haben ist wundervoll, birgt aber die Gefahr, der eigenen Unabhängigkeit voll und ganz nachzugehen und sich nur noch auf das eigene Wohl zu konzentrieren. Sich nicht mehr so stark um (langfristige) zwischenmenschliche Beziehungen zu bemühen, ist für mich ein Anzeichen dieser Entwicklung. Ich behaupte einfach mal, dass so eine Einstellung auf Dauer allerdings einsam und unglücklich macht.

Entwickelt sich unsere Gesellschaft von einem zusammenhängenden Gefüge dennoch zu lauter Einzelkämpfern? Hier behaupte ich einfach mal „Ja!”. Überall wo ich hinsehe, Ego-Nummern:  Angefangen bei Massenphänomenen, wie der immer stärker werdenden Selbstvermarktung in sozialen Medien, hin zu persönlichen Erlebnissen, wie vermehrten Ellenbogen-Aktionen im privaten, vor allem aber im beruflichen Umfeld. Hauptsache: ich. Wie wird sich das ganze erst in ein paar Jahren entwickelt haben, frage ich mich, wenn ich vielleicht selbst eigene Kinder habe. Diese Vorstellung macht mir zugegeben Angst.

Alarmstufe Instagram: Wir machen uns zum Spielball

Und dabei haben wir es aus westlicher Sicht doch eigentlich ganz gut:  Wir haben heute Freiheiten, für die sich vorherige Generationen jahrelang eingesetzt haben. Es mangelt uns, im Vergleich zu afrikanischen Ländern zum Beispiel, auch nicht an Ernährung oder Trinkwasser. Ganz im Gegenteil: Die westliche Welt lebt im Überfluss, in einer postulierten Wegwerf-Gesellschaft sogar. Wie kann es da sein, dass wir immer stärker dazu neigen, unsere Ellenbogen auszufahren und mehr und mehr für uns selbst zu verlangen? Sind wir schlichtweg reizüberflutet? Wissen nicht mehr wohin, mit all unseren Vorzügen?

Was Reizüberflutung angeht, fallen mir sofort die beiden Stichworte „Technologie” und „Medien” ein, die logischerweise eng miteinander zusammenhängen. Rund um die Uhr ballern wir uns mit Facebook, Instagram und Co. zu und machen uns damit selbst zum Spielball in Diskussionen um:

  • Selbstvermarktung,
  • Oberflächlich- und Unnatürlichkeit,
  • Verschwimmen von Wahrheit und Fiktion,
  • Sexualisierung der Frau,
  • schnelle Verbreitung von Hass und Ideologien,
  • Verrohung von Sprache,
  • Einfluss auf die Entwicklung von Kindern
  • und viele andere Aspekte.

Charlie und die Schokoladenfabrik: Düstere Prognose oder Lehrstück?

Es kann sein, dass mein geisteswissenschaftliches Studium mich verdorben hat – bei gesellschaftskritischen Auseinandersetzungen denke ich nun mal zuerst an die großen Romane der Neuzeit, auch an die bekannten Vertreter aus der Belletristik. Seien sie nun für Erwachsene oder für Kinder. Besonders klug finde ich „Charlie und die Schokoladenfabrik”. Ein Klassiker aus der englischen Kinderbuchliteratur (Originaltitel „Charlie and the Chocolate Factory”). Erschienen 1964, geschrieben von dem norwegisch-walisischen Schriftsteller Roald Dahl. Das Buch ist zwar in seiner Rezeption nicht unumstritten, besitzt aus meiner Sicht allerdings eine tiefergehende Bedeutung, von der wir alle etwas lernen können. Und das auf eine ziemlich bunte und pointierte Weise. Als hätte Roald Dahl die Entwicklung unserer Gesellschaft vorausgesehen.

Die Handlung: „Charlie und die Schokoladenfabrik” erzählt die Geschichte des kleinen Charlie Bucket, der mit seinen Eltern und seinen vier Großeltern zusammenlebt. Sie leben in ärmlichen Verhältnissen, haben kaum genug zu essen. Von seinen Großeltern hört Charlie beinahe märchenhafte Geschichten über Wonkas Schokoladenfabrik, die in der Nähe von Charlies Zuhause steht. Sein Großvater erzählt ihm zum Beispiel von Arbeitern, die keine Menschen sind. Nachdem die Schokoladenfabrik lange Zeit geschlossen war, lässt Willy Wonka, ihr geheimnisvoller Besitzer, öffentlich bekannt geben, dass er in fünf Schokoladen-Tafeln goldene Tickets versteckt hat. Wer eines findet, darf die Fabrik besichtigen. Weltweit beginnt die Suche.

Nach mehren erfolglosen Versuchen findet auch Charlie ein Ticket. Er macht sich mit seinem Großvater in die Schokoladenfabrik auf, wo die beiden auf vier andere Kinder und ihre Eltern treffen. Sie werden von Wonka persönlich empfangen, lernen seine Erfindungen kennen und treffen auf die zwergenhaften Oompa Loompas (gesprochen: Umpa Lumpa), die dort arbeiten. Während der Führung bringen sich die vier anderen Kinder jedoch nacheinander durch unbedachtes und unverschämtes Verhalten in gefährliche Situationen. Charlie bleibt als letzter übrig und erfährt, dass die weltweite Such-Aktion nur dazu diente, einen Erben auszuwählen. Er zieht daraufhin mit seiner Familie in die Schokoladenfabrik ein

Die Oompa Loompas wissen, wie es geht

Die „Unglücksfälle” der vier anderen Kinder werden jedes Mal von Liedern begleitet, welche die schlauen Oompa Loompas zum Besten geben. Die Figuren reflektieren das jeweilige Fehlverhalten und übernehmen sozusagen eine kathartische Funktion innerhalb der Geschichte.

Der gefräßige Augustus Glupsch ist als erster an der Reihe. Er fällt aus Gier nach Schokolade in einen Schokoladenfluss und wird durch eine Röhre nach oben gesaugt. Augustus steht für die Völlerei, eine der sieben Sünden. Die Reaktion der Oompa Loompas:

What do you get when you guzzle down sweets?

Eating as much as an elephant eats.

What are you at, getting terribly fat?

What do you think will come of that?

I don’t like the look of it.

Schlechte Manieren und Selbstdarstellung wiederum sind Themen, wenn es um die kaugummikauende Violetta Beauregarde geht. Trotz der Warnungen von Willy Wonka isst sie einen Kaugummi, der sie in eine überdimensional große Blaubeere verwandelt. Violetta muss von den Oompa Loompas aus dem Raum herausgerollt werden.

Gum chewing’s fine when it’s once in a while.

It stops you from smoking and brightens your smile.

But it’s repulsive, revolting and wrong.

Chewing and chewing all day Long.

The way that a cow does.

Die verwöhnte Veruschka Salz möchte eins von Willy Wonkas dressierten Eichhörnchen fangen und als Haustier behalten. Sie wird jedoch von den anderen Eichhörnchen in den Müllschlucker geworfen. „Sie wollen nur testen, ob sie eine hohle Nuss ist”, erklärt Willy Wonka. Die Oompa Loompas machen Veruschkas Eltern für ihr Verhalten verantwortlich:

Who do you blame when your kid is a brat?

Pampered and spoiled like a siamese cat.

Blaming the kids is a lie and a shame.

You know exactly who’s to blame, 

The mother and the father.

Zum Schluss der Führung durch die Fabrik bleiben Charlie und der fernsehspielsüchtige Mickey übrig. Mickey betätigt jedoch verbotenerweise eine von Willy Wonka erfundene Maschine, die ihn drastisch verkleinert. Seine Figur steht für erhöhten Medienkonsum und daraus resultierende Konsequenzen wie Dummheit und Gewalttätigkeit.

What do you get from a glut of TV ?

A pain in the neck and an IQ of three.

Why don’t you try simply reading a book?

Or could you just not bear to look?

You’ll get no,

You’ll get no,

You’ll get no,

You’ll get no,

You’ll get no Commercials.

Und die Moral von der Geschicht

Keine Angst, ich will hier keine überholte und zugegeben ziemlich sadistische Erziehungsmethode verbreiten, bei der Kinder in den Müllschlucker geworfen werden. Das wäre so eine Art Struwwelpeter 2.0 Version im Quentin Tarantino-Style.

Wie viele andere Bücher auch, sollte man „Charlie und die Schokoladenfabrik” nicht wörtlich nehmen: Es geht um gesellschaftliches Mit- beziehungsweise Gegeneinander. Weiterhin geht es um menschliches Fehlverhalten und negative gesellschaftliche Entwicklungen. Überfluss und Konsum am Beispiel einer Schokoladenfabrik darzustellen, halte ich im Übrigen für einen äußerst geschickten Kunstgriff, der seinesgleichen sucht und von Haus aus Potential für geradezu übertriebene Bildgewalt mitbringt. Man sehe sich Tim Burtons Verfilmung aus dem Jahre 2005 an.

Warum nehmen wir uns die Quintessenz dieses Buches nicht öfter zu Herzen? Warum denken wir nicht öfter daran, uns selbst und die Menschen um uns herum stärker zu reflektieren? Muss es wirklich immer Überfluss sein? Muss es immer Egoismus sein? Ist der kleine Charlie Bucket mit seiner Bescheidenheit und seiner Empathie etwa out geworden? Ich hoffe doch nicht. Falls ich später Kinder haben sollte, werde ich das Buch definitiv mit ihnen lesen und versuchen, sie zu eigenständigen, aber reflektierten und mitfühlenden Menschen zu erziehen.

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Unter der Haut: „Hast du ein Problem, du Pussy?“ http://nordkind.blog/geschichten/meinung/unter-der-haut-hoert-auf-euch-als-pussy-zu-beschimpfen http://nordkind.blog/geschichten/meinung/unter-der-haut-hoert-auf-euch-als-pussy-zu-beschimpfen#comments Mon, 14 Aug 2017 17:45:33 +0000 http://nordkind.blog/?p=4931 Oft feministisch. noch öfter intim: In ihrer Kolumne schreibt Janina über alle Themen, die ihr unter die Haut gehen. Heute geht es um die Macht von Sprache. Warum wird „Pussy” so oft als Beleidigung  beziehungsweise als Symbol für Schwäche benutzt? Muss es dafür unbedingt ein Synonym für das weibliche Geschlecht sein? Neulich im Saarpark in […]

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Oft feministisch. noch öfter intim: In ihrer Kolumne schreibt Janina über alle Themen, die ihr unter die Haut gehen. Heute geht es um die Macht von Sprache. Warum wird „Pussy” so oft als Beleidigung  beziehungsweise als Symbol für Schwäche benutzt? Muss es dafür unbedingt ein Synonym für das weibliche Geschlecht sein?

Neulich im Saarpark in Bremerhaven: Während meiner Mittagspause höre ich, wie sich zwei junge Mädchen über den Schulunterricht unterhalten: „Sei doch nicht sone Pussy!”, sagt die eine. „Wenn du am Mittwoch schwänzen willst, dann schwänzt du eben.”

„Pussy” ist scheinbar ein beliebtes Wort, wenn es darum geht, jemanden veralbern, jemanden beschimpfen oder das Drehbuch für einen Porno schreiben zu wollen. Krass ausgedrückt: verbale Gewalt auf der einen und Sex auf der anderen Seite. Dass sich dahinter eine äußerst frauenverachtende Sichtweise verbirgt, ist vielen allerdings nicht klar.

Sprache hat Macht

Für die Erkenntnis, dass Sprache einen immens hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft hat, muss man nicht, so wie ich, Sprach- und Kulturwissenschaft studiert haben.

Nur mal zwei Beispiele aus der Politik: Sprache ist vor allem dann wichtig, wenn mal wieder ein Wahlkampf ansteht und Wählerstimmen gewonnen werden müssen. Nicht ohne Grund gibt es seit der Antike Rhetorik-Ratgeber. Sprache kann aber auch den Beginn eines Krieges offiziell festlegen und damit sozusagen der Grundstein für die folgenden Handlungen sein. „Die Feder ist mächtiger als das Schwert”, hat der britische Romanautor Edward Bulwer-Lytton deswegen gesagt.

In der Linguistik herrscht schon seit langem Streit, was den Einfluss von Sprache auf unser Leben angeht: Die einen sind davon überzeugt, dass unsere Sprache unser Denken bestimmt und Menschen in unterschiedlichen Sprachen daher auch unterschiedlich denken. Die anderen Forscher halten dagegen: Sie meinen, dass Denken und Sprache weitgehend unabhängig voneinander funktionieren. Allen Menschen sind ohnehin dieselben Grundregeln der Sprache angeboren, so ihr Argument.

Da die Diskussion grundlegende Fragen nach dem Wesen des Menschen und seiner Wahrnehmung aufwirft und damit weit über die Disziplin Linguistik hinausgeht, haben sich auch Psychologen und Hirnforscher ihrer angenommen: Sie finden immer mehr Hinweise darauf, dass Worte unser Denken und Handeln prägen. Der Mensch eignet sich ihren Ergebnissen zufolge mit seiner Muttersprache bestimmte Denkmuster an, die sein späteres Leben beeinflussen. „Eine Gesellschaft, die sich an Hass-Sprache gewöhnt, verroht”, sagt Joachim Bauer, Neurowissenschaftler am Uniklinikum Freiburg, beispielsweise. Er bezieht sich damit vor allem auf die Themen „Hass im Internet” und „Hass in der Politik”.

Frauen: noch immer das schwache Geschlecht

Sprache hat außerdem eine offensichtliche Wirkung, die wohl jeder von uns bestätigen würde: Sie kann verletzen und damit noch Tage, wenn nicht sogar Jahre nachwirken. Meine eigene Erfahrung mit beleidigender Sprache habe ich bereits in einer früheren Kolumne beschrieben.

Wenn ein Mensch einen anderen als „Pussy” bezeichnet, geht es im Grunde darum, letzteren als schwach, wenn nicht sogar als unfähig darzustellen. Gleichsam einem „Opfer”. Auch eines dieser fiesen Worte. Benutzt wird „Pussy” für Männer und für Frauen. Es kommt in einem wüsten Streit oder einer Pöbelei zum Tragen („Hast du ein Problem, du Pussy?”), aber auch im lockeren Gespräch. Man denke zum Beispiel an die zwei Mädchen aus dem Saarpark, deren Gespräch ich zufällig in meiner Mittagspause mitbekommen habe. In diesem Fall hatte das Wort einen scherzhaften Beigeschmack, nach dem Motto „Stell dich doch nicht so an!”.

„Pussy” als Symbol für Schwäche zu verwenden, zeigt mir, dass unsere Gesellschaft noch lange nicht da ist, wo sie sein könnte. Machen wir uns nichts vor, Frauen werden noch immer als das schwächere Geschlecht angesehen. Ob nun böse gemeint oder nicht, viele denken: Frauen können weniger Getränkekisten tragen, sie sind durch ihre Periode an manchen Tagen weniger leistungsfähig als an anderen, sie fallen durch Schwangerschaft im Beruf aus, müssen aber dennoch bezahlt werden, sie sind Sexobjekt – und und und. Überwiegend wird die postulierte Schwäche der Frau auf ihre Biologie zurückgeführt.

Dieses prähistorische Schlussfolgerung zeigt sich an unzähligen Beispielen: Sie zeigt sich in unserem Wortschatz, sie zeigt sich in unseren Löhnen, sie zeigt sich – heutzutage mehr denn je – an sexualisierten Instagram-Bildern. Was prominente „Schlussfolgerer” angeht, denke ich vor allem an Donald Trump und „Grab her by the pussy” – seinen berühmt gewordenen Ausspruch. „Fass Frau ruhig an ihrer Pussy an. Du darfst das. Sie wehrt sich auch nicht.” Oder was suggeriert diese Aufforderung?

Hört Endlich auf damit!

In puncto Frauenrechten bin ich ein Idealist. Das ist mir klar. Ich bin bei diesem Thema äußerst sensibilisiert. Das kommt sicherlich wegen meines akademischen Hintergrundes, das kommt aber auch wegen meines normalen Menschenverstandes: Dass sich junge Mädchen gegenseitig als „Pussy” bezeichnen, kann nicht gesund für sie sein und wird sich höchstwahrscheinlich (früher oder später) auf ihr Selbstwertgefühl auswirken. Sie benutzen die Bezeichnung, ohne jedoch dabei zu merken, wie misogyn sie im Grunde ist. Damit werten sie sich und ihr Geschlecht ab.

Gleiches gilt im Übrigen für das Wort „Mädels”. Auch erwachsene Frauen sprechen oft davon, mit ihren Freundinnen einen „Mädelsabend” veranstalten zu wollen. Für mich hört sich diese Formulierung immer so „niedlich” und „unschuldig” an,  ich möchte beinahe „oberflächlich” sagen. Das Attribut „unfähig” schwingt ebenfalls wieder mit („Heidi Klum zeigt ihren Mädels, wie man richtig modelt”.).

Egal, wie und in welchem Kontext man „Pussy” und „Mädels” interpretiert – die beiden Worte sind definitiv nicht die ersten, wenn man an Stärke, Respekt, Können und Gleichheit denkt. Schade.

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Sexismus-Debatte: Wie nackt darf es sein? http://nordkind.blog/kultur/gesellschaft/sexismus-debatte-wie-nackt-darf-es-sein http://nordkind.blog/kultur/gesellschaft/sexismus-debatte-wie-nackt-darf-es-sein#respond Mon, 07 Aug 2017 10:53:03 +0000 http://nordkind.blog/?p=4726 Echt, schön, kurvig – RTL 2 sucht wieder das „Curvy Supermodel” und ruft damit jetzt auch die Sittenhüter im Land Bremen auf den Plan. Zu viel nackte Haut auf den dazugehörigen Werbeplakaten, lautet der Vorwurf. Nach mehreren Beschwerden von Bürgern prüfen die Landesfrauenbeauftragte und das zuständige Bauressort, ob die freizügigen Plakate aus dem Stadtbild verschwinden […]

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Echt, schön, kurvig – RTL 2 sucht wieder das „Curvy Supermodel” und ruft damit jetzt auch die Sittenhüter im Land Bremen auf den Plan. Zu viel nackte Haut auf den dazugehörigen Werbeplakaten, lautet der Vorwurf. Nach mehreren Beschwerden von Bürgern prüfen die Landesfrauenbeauftragte und das zuständige Bauressort, ob die freizügigen Plakate aus dem Stadtbild verschwinden können. Bremen ist damit das erste Bundesland, das gegen sexistische Werbung vorgeht. Ein Lagebericht.

Als bislang einziges Bundesland geht Bremen seit April gegen sexistische Werbung auf öffentlichen Werbeflächen vor. Erst mal gilt das nur in der Stadt Bremen. Aber auch Bremerhaven will demnächst ein Auge auf sexistische Plakate haben: „Bei der anstehenden Neuausschreibung des Vertrages zur Städtereklame soll jetzt mit aufgenommen werden, dass sexistische Werbung verboten ist“, sagt Magistratssprecher Volker Heigenmooser. „Das ist als präventive Maßnahme gedacht. In den aktuellen Verträgen gibt es keine Möglichkeit, das zu unterbinden.“ Künftig dürften dann Plakate wie die von den „Curvy Supermodels“ in Bremerhaven schwieriger werden.

Wo fängt Sexismus eigentlich an?

Thilo Kelling hat eine eigene Agentur für Marketing und Kommunikation in Bremerhaven. (Foto: PR)

Aus Sicht eines Werbungmachenden ist das eine Frage der individuellen Wahrnehmung. Thilo Kelling hat in Bremerhaven eine eigene Agentur für Marketing und Kommunikation. Seine Erfahrung: „Der eine fühlt sich bereits durch eine Dame in Bademode sexistisch gestört, für den anderen ist eine schlüpfrige Andeutung noch in Ordnung.” Seinen Kunden rate er daher eher zu Zurückhaltung – zumindest was Werbung in den klassischen Medien angeht.  „In sozialen Medien, im Internet und in stark verbreiteten Videoformaten darf es hingegen schon mal etwas zweideutiger werden”, sagt er. Solange es jedoch lustig bleibe und nicht unter die Gürtellinie gehe. „Wie weit man gehen kann, hängt stark vom Produkt und der Zielgruppe ab. Und auch die Werbeagentur sollte für sich genau abwägen, was sie mitzugehen bereit ist.”

Die Bremer scheinen das Thema Sexismus jedenfalls ziemlich ernst zu nehmen: Seit dem Senatsbeschluss im April hat die Gleichstellungsstelle in Bremen acht Hinweise bearbeitet. In einem Fall geht es um das Plakat der kurvigen Supermodels. Da die Gleichstellungsstelle das Plakat für sexistisch hält, hat sie das Bauressort gebeten zu prüfen, ob es von öffentlichen Werbeflächen verbannt werden kann.

„Formal halte ich das Werbeplakat nicht für sittenwidrig”, sagt Agenturchef Kelling. „Es erfolgt aber eindeutig der Einsatz eines sexistischen Motivs, um Quote zu erzeugen. Bei der Casting-Show geht es ja nicht in erster Linie um Nacktheit, sondern um den derzeitigen Subtrend zu vollschlanken Models. Trotzdem werden die Mädchen zur Quotensteigerung auf halbnackte Dickerchen reduziert. Das disqualifiziert zuallererst die Zuschauer dieses Show-Formates.”

Bremen: Noch keine Entscheidung in sicht

Eine Entscheidung, wie es mit den freizügigen Plakaten in Bremen weitergehen soll, stehe noch aus, teilt die stellvertretende Landesfrauenbeauftragte Bärbel Reimann mit. Auf dem Plakat des Fernsehsenders werde ihrer Meinung nach allerdings „übertriebene Nacktheit“ gezeigt. „Die Frauen bewerben sich ja nicht für einen Pornofilm, sondern für eine Modelshow.“ Nicht ohne Grund habe sich die Deutsche Bahn geweigert, die Plakate in Bahnhöfen aufzuhängen. Daher wurden dafür Alternativmotive produziert, auf denen die Models Unterwäsche tragen. Diese Plakate seien dann auch in Ordnung, findet Reimann.

RTL2 hingegen weist die Kritik zurück: „Unser Kampagnenmotiv zeigt attraktive und selbstbewusste Frauen, die zu ihrem Körper stehen und die wir ästhetisch in Szene gesetzt haben“, sagt ein Sprecher des Senders. In allen anderen Fällen habe die Beschwerdestelle die Plakate entweder als nicht sexistisch eingestuft oder es habe sich um private Flächen gehandelt, sagt Reimann. Da könne der Senat nicht mehr tun als die Beschwerdeführer an den Deutschen Werberat zu verweisen.

Nacktheit zieht noch immer

Auch aus Bremerhaven hat die Sittenhüter in Bremen ein Hinweis zu einem Plakat auf einem Bus erreicht. Eine Firma wirbt dort für Bäder mit einer dünn bekleideten Rückseite einer Frau. Robert Haase, Chef von Bremerhaven Bus, sagt, dass die Plakatierung des Kunden in vier Wochen auslaufe. „Wir werden genau darauf achten, die Regeln des Werberates einzuhalten.“

Nackte Haut, so fasst Thilo Kelling zusammen, sei bereits seit geraumer Zeit so inflationär in der Werbung eingesetzt worden, dass die Attraktion, die noch vor 25 Jahren vorhanden war, heute nicht mehr in dem Umfang existiert. „Sie zieht aber trotzdem noch Aufmerksamkeit auf sich”, betont er. „Das sieht man allein daran, dass es immer wieder öffentliche Kritik an Plakatmotiven von zum Beispiel Erotik-Unternehmen gibt. Dabei ist der Grad zwischen positiver und negativer Aufmerksamkeit relativ schmal. Der Werbungtreibende sollte dabei immer das langfristige Image seiner Marke im Blick behalten.” Dies zu gewährleisten, sei eine wesentliche Aufgabe seiner Agentur.

Meine Meinung: Kommt mal klar! 

 

Wir leben im 21. Jahrhundert. Jeden Tag sehe ich auf der Straße junge Mädchen, deren Hotpants und Tops knapper sind als die Bekleidung auf manchen vermeintlich anstößigen Werbeplakaten. Daher können mich ein paar leicht bekleidete Menschen – egal ob Frau oder Mann –, die mir morgens an der Bushaltestelle ins Auge springen, nicht auf die Palme bringen. Ganz klar: Es darf auch in der Werbung nicht alles erlaubt sein. Werbeagenturen und Kunden sind in der Pflicht, die Grenzen des guten Geschmacks im konkreten Fall abzuwägen. Dennoch finde ich, dass wir im Land Bremen wichtigere Probleme haben, als uns jetzt auch noch um das Verdrängen von Werbeplakaten aus dem Stadtbild zu kümmern. Zumal das ohnehin oft ein zahnloser Tiger bleibt, weil der Senat bei privaten Flächen gar keine Handhabe hat.

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Freiheit, Liebe, Glück im Doppelpack: Ein Plädoyer für die Ehe http://nordkind.blog/kultur/gesellschaft/freiheit-liebe-glueck-im-doppelpack-ein-plaedoyer-fuer-die-ehe http://nordkind.blog/kultur/gesellschaft/freiheit-liebe-glueck-im-doppelpack-ein-plaedoyer-fuer-die-ehe#comments Mon, 07 Aug 2017 09:43:02 +0000 http://nordkind.blog/?p=4721 Menschen heiraten, um Sicherheit zu haben – zack, das hat gesessen. Für den Bruchteil einer Sekunde habe ich mich ertappt gefühlt, als ich diesen Satz unlängst gelesen habe. Ich, 27 Jahre alt, voll berufstätig, emanzipiert, unabhängig, seit acht Monaten verheiratet. Nein, unabhängig und verheiratet schließt sich nicht aus, ich bin nicht von meinem Mann abhängig. […]

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Menschen heiraten, um Sicherheit zu haben – zack, das hat gesessen. Für den Bruchteil einer Sekunde habe ich mich ertappt gefühlt, als ich diesen Satz unlängst gelesen habe. Ich, 27 Jahre alt, voll berufstätig, emanzipiert, unabhängig, seit acht Monaten verheiratet. Nein, unabhängig und verheiratet schließt sich nicht aus, ich bin nicht von meinem Mann abhängig. Aber ja, wir haben geheiratet, um Sicherheit zu haben allerdings und zuallererst: weil wir uns lieben und davon überzeugt sind, gemeinsam ein schöneres Leben zu haben als alleine.

Ich fange diesen Text mit ein paar Zahlen an: Die Zahl der Scheidungen sinkt seit zehn Jahren kontinuierlich ab, im Schnitt halten Ehen drei Jahre länger als noch vor 20 Jahren und seit 2013 steigt auch die Zahl der Eheschließungen – wenn auch langsam – wieder. Im Jahr 2015 sind laut statista Deutschlandweit 400.115 Ehen geschlossen worden, dem gegenüber stehen 163.000 Scheidungen, keine schlechte Bilanz.

Hätte mir vor zwei Jahren jemand erzählt, ich würde einen solchen Text schreiben, geschweige denn ich wäre verheiratet, ich hätte ihn für verrückt erklärt. Damals stand ich am Ende meines Studiums, war gerade aus Indien zurückgekehrt, wollte ins Berufsleben starten und war mit mir selbst einig, dass es jetzt erstmal um mich, meine Karriere, meine Selbstverwirklichung gehen muss – ganz Kind meiner Generation. Doch das Leben, besser, die Liebe kam mir dazwischen und heute bin ich unglaublich froh darüber.

Wir gegen den Rest der Welt

Es gibt diesen klugen Satz von Michael Nast, den ich in einem Artikel der Welt gelesen habe: „Wer sich auf sich selbst beschränkt, verpasst die Liebe.” Sehr wahr. Hätte ich mich, als mein Mann in mein Leben trat, dagegen gewehrt, ich wäre um die wunderbare Erfahrung, eine eigene kleine Familie zu sein, ärmer. Denn das hat sich verändert, trotz allem modernen Herangehen an die Ehe: Wir sind jetzt nicht mehr nur ein Paar, wir sind eine Familie, ein Bund, ein „Wir-gegen-den-Rest-der-Welt”.

Die Ehe ist heute – anders als noch in der Generation unserer Eltern und Großeltern – vor allem ein Liebesbeweis für den Partner. Wir haben uns nicht versprochen, zusammen zu bleiben, bis dass der Tod uns scheidet. Wir haben uns versprochen, alles dafür zu tun, dass es so sein wird. Das ist ein großer Unterschied.

Beziehungen sind instabiler, aber erfüllender.

Und: Dass wir verheiratet sind, heißt nicht, dass wir unsere persönliche Freiheit aufgegeben haben. Wer in einer Partnerschaft das Gefühl hat, nicht mehr frei zu sein, sollte sich tatsächlich fragen, ob sie richtig ist. Franz Neyer, Leiter des Instituts für Psychologie an der Uni Jena, sagt in dem gleichen „Welt”-Artikel: „Partnerschaften sind heute vielfältiger als früher und reflektieren eher die Persönlichkeit des Einzelnen”. Oder einfacher ausgedrückt: „Beziehungen sind instabiler, aber erfüllender.”

In vielen Artikeln, die beschreiben, dass unsere Generation angeblich „beziehungsunfähig” ist, werden oft folgende Gründe genannt, warum das so ist: Wir wissen nicht, was Morgen ist, wollen uns nicht festlegen. Wir wollen rumprobieren können und möglichst frei dabei sein. Wir sind für uns selbst die wichtigsten Menschen im Leben, wir halten uns alle (Partner-) Möglichkeiten offen.

Über die Freiheit habe ich oben schon geschrieben, ich habe sie mit dem Ja-Wort nicht aufgegeben. Ich bin genauso frei in meinem Denken und Handeln wie vor der Ehe. Unfrei machen mich (und das wird viel zu oft in diesem ganzen unserer Generation zugeschriebenen Selbstverwirklichungswahn vergessen) ökonomische Zwänge. Mich macht es unfrei, wenn ich nicht weiß, wie ich im nächsten Monat die Miete zahlen soll. Ich weiß, wovon ich rede, ich habe in Indien probiert, meine persönliche Freiheit zu leben und – so ist das nun mal in unserer kapitalistischen Welt – sie endet mit der Ebbe im Portemonnaie. Aber das ist ein anderes Thema. Mein Mann jedenfalls nimmt mir nicht meine Freiheit, im Gegenteil: er eröffnet mir neue, seine Welten.

Jeder sucht und braucht jemanden, der ein emotionaler Anker ist, der einen begleitet, beschützt, jemanden, der sich mit einem freut und leidet.

Natürlich bin ich der wichtigste Mensch in meinem Leben. Aber mein Leben ergibt erst Sinn, weil mein Mann, der auch mein bester Freund ist, mein Leben liebt und schätzt. Und neben ihm und mir machen meine Familie und meine Freunde mein Leben erst vollkommen. Einen Grundsatz habe ich seit dem Film „Into the wild” und auch während meiner Reisen verinnerlicht: Glück ist erst vollkommen, wenn man es teilen kann. Mit meinem Mann an meiner Seite teile ich Glück, Liebe, Hoffnung, Freud und Leid. Gemeinsam meistern wir Herausforderungen besser als alleine. Weil zwei Sichtweisen den Horizont erweitern, die Auseinandersetzung miteinander, die Reibung unter- und aneinander und dass wir ihr nicht entgehen können, macht uns beide zu besseren Menschen, gerade weil wir nicht völlig auf uns selbst fixiert sind, sondern uns und unser Verhalten ständig reflektieren müssen. Noch ein Satz von Neyer dazu: „Jeder sucht und braucht jemanden, der ein emotionaler Anker ist, der einen begleitet, beschützt, jemanden, der sich mit einem freut und leidet.” Mein Mann und unsere Liebe sind meine Anker.

Lennart Boscher behauptet in seinem Artikel bei „Ze.tt”, er lasse sich auf seine Partnerinnen ein, aber wolle sich dennoch alle Möglichkeiten offen halten. Das widerspricht sich in sich. Und macht mich nachdenklich: Warum gilt Verbindlichkeit als nicht erstrebenswert? Als wir damals verkündeten, dass wir heiraten wollen, habe ich oft gesagt bekommen, ich sei mutig. Dazu Sokrates: „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit. Das Geheimnis der Freiheit aber, ist der Mut.” Traut euch, liebe Generation beziehungsunfähig!

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Unter der Haut: Wenn Feinfühligkeit zur Herausforderung wird http://nordkind.blog/geschichten/meinung/unter-der-haut-wenn-feinfuehligkeit-zur-herausforderung-wird http://nordkind.blog/geschichten/meinung/unter-der-haut-wenn-feinfuehligkeit-zur-herausforderung-wird#respond Wed, 19 Jul 2017 14:36:38 +0000 http://nordkind.blog/?p=3971 Oft feministisch, noch öfter intim: In ihrer Kolumne schreibt Janina über alle Themen, die ihr unter die Haut gehen. Heute geht es um feinfühlige Menschen. Janina ist selbst feinfühlig und berichtet davon, wie sich diese Eigenschaft auf ihren Alltag und ihre Beziehungen auswirkt. Allgemein gilt: Je älter man wird, desto besser lernt man sich und […]

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Oft feministisch, noch öfter intim: In ihrer Kolumne schreibt Janina über alle Themen, die ihr unter die Haut gehen. Heute geht es um feinfühlige Menschen. Janina ist selbst feinfühlig und berichtet davon, wie sich diese Eigenschaft auf ihren Alltag und ihre Beziehungen auswirkt.

Allgemein gilt: Je älter man wird, desto besser lernt man sich und sein Verhalten kennen. Bei mir im Speziellen gilt: Je älter ich wurde, desto klarer wurde mir, dass ich ein extrem feinfühliger Mensch bin. Ich bin hochsensitiv. Ein jemand also, der besonders stark auf seine Umwelt reagiert, daher oftmals auch mehr Zeit braucht, um Dinge zu verarbeiten und dementsprechend ein hohes Ruhebedürfnis hat. Viele meiner Reaktionen und Entscheidungen lassen sich auf diese Wesensart zurückführen. Das war in der Vergangenheit so. Das ist auch heute noch so.

Mein Feind der Fernseher

„Kannst du bitte den Fernseher ausmachen?“. Ich glaube, ich nerve meinen Freund mit dieser ständigen Aufforderung. Einerseits tut mir das leid, weil ich ungerne Befehle verteile, andererseits auch wieder nicht. Der Fernseher nervt mich nun mal. Und das nicht nur ziemlich. Wenn er abends oder am Wochenende läuft, und ich mich eigentlich von einer für mich anstrengenden Woche erholen möchte, würde ich am liebsten heulen oder schreien. So stark ist meine Antipathie gegenüber den lauten Geräuschen, insbesondere denen aus Werbeclips, und gegenüber dem flackernden Licht in der letzten Zeit gewachsen.

„Du übertreibst“, würde mein Freund im Gegenzug wahrscheinlich sagen. Für mich ist dieses Gefühl von Überreizung aber leider keine Übertreibung, sondern Ist-Zustand. Nur weil es meinem persönlichen Empfinden entspringt, habe ich ihm mal versucht zu erklären, ist es noch lange nicht unwahr, beziehungsweise geht es noch lange nicht einen Schritt über die Realität hinaus. Ich brauche Ruhe, um runterzukommen. Punkt. Alles andere spannt mich nur noch weiter an.

zwei Gegensätze treffen aufeinander

Erklären lässt sich unsere Patt-Situation mit zwei Begriffen für zwei unterschiedliche Wesensarten: extrovertiert und introvertiert. Benutzt man oft im allgemeinen Sprachgebrauch, aber weiß man auch genau, was dahintersteckt?

Extrovertiert
– nach außen hin orientiertes Verhalten
– höhere Kontaktfreudigkeit, Wunsch nach externen Reizen
– gesteigerte Aktivität

Introvertiert
– nach innen hin orientiertes Verhalten
– besonders empfänglich für externe Reize
– Folge: schnelle Reizüberflutung, Ruhebedürfnis

Was meine Beziehung angeht, so habe ich schnell angefangen, unsere Unterschiede mehr als schätzen zu lernen. Hier geht es schließlich nicht um Schuld oder darum, jemanden umzuerziehen, Hier geht es um verschiedene Wesensarten und darum, aufeinander zuzugehen. Ich liebe meinen Freund für seine Art und finde, dass wir uns sehr gut ergänzen. Vor allem durch unsere Unterschiede,

Von dem Parfum bekomme ich Kopfschmerzen

Während ich mich in meiner Beziehung auf Kompromisse einigen kann, sieht das im Alltag mit Fremden natürlich völlig anders aus. Hier eine Situation, die ich schon oft erlebt habe: Ich sitze im Zug und jemand neben mir hat extrem viel Parfum aufgetragen. Am besten mit einer süßlichen Note. Für mich sind Kopfschmerzen in so einem Fall vorprogrammiert. Wenn nicht sogar Migräne. Bitte ich den Menschen darum, sich wegzusetzen oder das nächste Mal weniger aufzutragen? Nein, natürlich nicht. Dass sich sein Geruch bei mir zum körperlichen Schmerz entwickelt und meine Zugfahrt damit die Ausmaße einer Odyssee annimmt, ist schließlich mein „Problem“.

Als feinfühliger Mensch habe ich oft das Gefühl, dass mich alltägliche Dinge wie diese schnell anstrengen und ermüden. Einkaufen in überfüllten Kaufhäusern nimmt mir die Luft zum Atmen. Besonders im Winter, wenn ich dick eingepackt bin. Genauso war es bei überfüllten Mensen während meiner Studienzeit. Nicht selten folgte die Panikattacke wegen meiner Engegefühle in der Brust. In solchen Momenten fühle ich mich losgelöst von allem. Wie in einer Blase. Das Treiben in der Welt um mich herum rauscht hektisch vorbei und ich bleibe zurück. Wie ein Beobachter von einem fremden Stern.

Oscar Wilde hat immer Recht: Denken ist das Ungesündeste in der Welt

Zusammenhängend mit meiner Erkenntnis, dass ich ein sehr feinfühliger Mensch bin, wurde mir – je älter ich wurde – außerdem klar, dass ich zu viel denke. Und zwar, dass ich viel zu viel denke. Ich zerdenke Dinge.

Ich hatte Phasen, in denen ich stundenlang nachts wach gelegen und über Ereignisse nachgedacht habe. Über Schlimme oder triviale Ereignisse. Über Ereignisse aus meinem Leben oder aus dem von anderen: Warum ist das nur passiert? Warum habe ich in der Situation nicht anders gehandelt? Ob das morgen wieder so läuft? Warum sind die beiden so gemein zueinander? Und so weiter und so fort.

I am one of those
Melodramatic fools,
Neurotic to the bone,
No doubt about it.
Sometimes I give myself the creeps.
Sometimes my mind plays tricks on me.
It all keeps adding up,
I think I’m cracking up.
Am I just paranoid?
Am i just stoned? Green Day

Positiv zu denken lässt sich zum Glück lernen – auch wenn es sich nach einer Phrase anhört. Es bedarf: 1. Akzeptanz von Ereignissen und Situationen, 2. Achtsamkeit sich selbst und seinen Gedanken gegenüber und 3. Arbeit am eigenen Verhalten. Für mich sind diese drei Dinge sehr wichtig, um mit den Herausforderungen, die es mit sich bringt, feinfühlig zu sein, umgehen zu können. Alles andere kann sich aus meiner Erfahrung nämlich zu selbst destruktiven Zügen entwickeln.

Ursachenforschung: Die Kindheit mal wieder

Jedes Kind lernt im Grunde schnell, dass es den Ansprüchen seiner Eltern nicht genügt. Klingt erstmal hart, ist aber so. Die Eltern ermahnen es, gewisse Dinge zu tun oder eben nicht zu tun. Alles eigentlich halb so wild. Schließlich handelt es sich um ein Kind, das noch nicht weiß, was „falsch“ ist, besser, was von ihm „gewollt“ ist. Ich habe allerdings das Gefühl, dass gerade Individuen mit einem feinfühligen Charakter später stärker auf diese Prägung in der Kindheit reagieren als andere.

Jahrelang hatte ich das Gefühl, es anderen nicht recht machen zu können. Ergo habe ich meine eigenen Bedürfnisse untergeordnet und mich auf die von anderen konzentriert. Dahinter stand der Wunsch von anderen geliebt zu werden. In zwischenmenschlichen Beziehungen birgt das leider zum einen die Gefahr, ständig den Kürzeren zu ziehen oder sich zum anderen vom Gegenüber abhängig zu fühlen. Ein äußerst ungesunder Teufelskreis. In einem Bericht auf Spiegel-Online habe ich für dieses Phänomen mal eine sehr anschauliche Metapher gelesen: Feinfühlige Menschen sollten aufpassen, nicht in die Kellner-Rolle des Lebens abzurutschen. Da ist was dran, finde ich.

Heute ist es mir daher sehr wichtig, auf meine eigenen Bedürfnisse zu hören und meine eigenen Grenzen zu kennen. Wenn ich mal keine Lust habe, mich abends noch für ein Treffen fertig zu machen, ist das eben so. Wenn ich mich durch die ständige Informationsflut im Alltag oder die ständige Dauerbereitschaft auf der Arbeit überreizt fühle, ist das auch so. Dann mache ich mein Diensthandy aus, um nur einen möglichen (Aus-)Weg zu nennen.

Warum Feinfühligkeit auch Vorteile hat

Ich habe in meinem Leben schon zwei Sätze gehört, die auch als negatives Fazit aus dem bisherigen Text abgeleitet werden könnten: Erstens, „Du übertreibst.“ Zweitens, „Du bist ganz schön gehandicapt.“ Nein, weder das eine, noch das andere. Dass ich nicht übertreibe, nur weil ich eine andere Wahrnehmung als viele andere Menschen habe, ist für mich ganz eindeutig. Darüber diskutiere ich auch nicht weiter. Worte wie „sensibel“ und „emotional“ gehen bei mir ins eine Ohr rein und in das andere wieder raus. Wie klar und analytisch ich sonst denke, passt nämlich ganz und gar nicht zu dieser einseitigen Betrachtungsweise.

Dass ich nicht gehandicapt bin, möchte ich aber noch genauer erklären: Als feinfühliger Mensch bin ich sehr empathiefähig. Ich habe sehr gute Antennen für Zwischenmenschliches. Anderen zu helfen – und damit meine ich nicht, ein ausgeprägtes Helfersyndrom auszuleben – erfüllt mich mit ungeheuer positiver Energie. Auch wenn ich weiter oben gesagt habe, dass völlige Aufopferung gefährlich ist. Genauso erfüllt mich das Gefühl zu lieben und dabei zu wissen, dass diese Liebe auch erwidert wird. Etwas Schöneres kann ich mir bis dato nicht vorstellen.

Ich habe außerdem ein hohes Gerechtigkeitsempfinden. Ebenso bin ich loyal, kreativ und in der Lage, Zusammenhänge schnell zu erkennen. Fähigkeiten aus unterschiedlichen Bereichen, die auch im Beruf von Vorteil sind. Jeder Arbeitgeber, der feinfühlige Menschen heutzutage immer noch als schwach und nicht leistungsfähig ansieht, verkennt meiner Meinung nach ihr enormes Potential und ist damit schlicht in einem sozialdarwinistischen Denken hängen geblieben. Und das sage ich nicht nur, weil ich selbst feinfühlig bin.

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Unter der Haut: Mythos Jungfräulichkeit http://nordkind.blog/geschichten/meinung/unter-der-haut-mythos-jungfraeulichkeit http://nordkind.blog/geschichten/meinung/unter-der-haut-mythos-jungfraeulichkeit#respond Tue, 11 Jul 2017 13:02:34 +0000 http://nordkind.blog/?p=2958 Oft feministisch, noch öfter intim: In ihrer Kolumne schreibt Janina über alle Themen, die ihr unter die Haut gehen. Heute geht es um Sexualität und das Konzept von „Jungfräulichkeit”. Was steckt dahinter und wie wirkt es sich auf unsere Definition von Sex aus? N eulich im Bus in Bremerhaven. Ein Gespräch zwischen zwei jungen Männern: „Ich dachte, deine Freundin ist noch […]

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Oft feministisch, noch öfter intim: In ihrer Kolumne schreibt Janina über alle Themen, die ihr unter die Haut gehen. Heute geht es um Sexualität und das Konzept von „Jungfräulichkeit”. Was steckt dahinter und wie wirkt es sich auf unsere Definition von Sex aus?

N eulich im Bus in Bremerhaven. Ein Gespräch zwischen zwei jungen Männern: „Ich dachte, deine Freundin ist noch Jungfrau?“, fragt der eine. „Ist sie ja auch”, beteuert der andere. „Ich habe sie die ganze Zeit nur in den Arsch gefickt.” Zwar hatte die Unterhaltung noch viele weitere Höhepunkte zu bieten, doch genau dieser Satz und die dahintersteckende Vorstellung waren es, die mir im Nachhinein nicht mehr aus dem Kopf gingen – eine in den Arsch gefickte Jungfrau. Ich fing an, mir Gedanken darüber zu machen, was es heutzutage eigentlich heißt, Jungfrau zu sein und Sex, beziehungsweise keinen Sex zu haben.

Wann ist eine Jungfrau eine Jungfrau?

Was die beiden aus dem Bus unter Jungfräulichkeit verstehen, ist schon mal eindeutig:

Penis in Körperöffnung (außer Vagina) = Jungfrau

Im Umkehrschluss:

Penis in Vagina = keine Jungfrau

Am liebsten hätte ich noch gefragt, ob das Ganze jetzt Sex für ihn war oder nicht. Immerhin hatte er bei seiner lautstarken Diskussion ja das Verb „ficken” benutzt. Ein bisschen weiter gedacht, wäre auch eine Diskussion über „Homosexualität” aufschlussreich gewesen: Bleiben Lesben ihr Leben lang Jungfrau(en), weil sie nicht durch einen (echten) Penis penetriert wurden? Ein Strapon zählt in seiner Logik höchstwahrscheinlich nicht. Und wie ist es bei Schwulen? Bei einem schwulen Pärchen sind immerhin zwei Penisse beteiligt, wenn auch andere Körperöffnungen.

Ich bin mal so frei und behaupte, dass sich keiner der beiden je Gedanken über diese Fragen gemacht hat. Warum auch? Wie auch? Unsere jeweilige Kultur gibt uns schließlich maßgeblich vor, mit welcher Brille wir unser gesellschaftliches Umwelt betrachten und solche Fragen beantworten. Sex und Jungfräulichkeit sind dabei zwei besonders stark internalisierte Konzepte – von Generation zu Generation weitergegeben und leider immer noch unzureichend reflektiert. Als ich in der Grundschule sexuell aufgeklärt wurde, herrschte schließlich auch noch ein traditionelle(re)s Verständnis von Sex:

Sex = Vaginalsex = Mann und Frau

Der Fokus unserer Lehrerin lag damals mehr darauf, anatomische Grundlagen zu vermitteln oder ersten Fragen zur Periode zu beantworten.

Vom Geschlechtsverkehr zum Sex

Heutzutage ist das zum Glück nicht mehr so: Auch andere sexuelle Praktiken werden stärker akzeptiert, wodurch der Begriff des Geschlechtsverkehrs wiederum eine Bedeutungserweiterung erfahren hat: Analverkehr, Oralverkehr, gleichgeschlechtlicher Verkehr, Verkehr mit mehreren Menschen gleichzeitig – all das fällt für die meisten Menschen unter ihre Definition von „Sex”.

Im Gegensatz zu dieser Entwicklung hält sich der Mythos der Jungfräulichkeit relativ hartnäckig: Prominenteste Vertreterin ist Mutter Maria, die ihr Kind nicht durch den Akt mit ihrem Partner, sondern durch den Heiligen Geist empfangen haben soll. Klar, dass sich so eine tolle Geschichte auch heute noch gut vermarkten lässt: Beim US-Serienhit „Jane The Virgin” beispielsweise, dreht sich alles um eine junge, gläubige Latina, die versehentlich künstlich befruchtet wurde. Gina Rodriguez wurde für ihre Darstellung der perfekt dauer-chaotischen Jane Villanueva sogar mit einem Golden Globe in der Kategorie „Beste Serien-Hauptdarstellerin – Komödie oder Musical” ausgezeichnet.

Jungfrau: Ein Begriff mit Tradition

„Jungfrau” hat eine lange Geschichte. Das Wort stammt von dem mittelhochdeutschen juncfrou(we), beziehungsweise dem althochdeutschen juncfrouwa und bezeichnet eine junge Herrin oder ein (unverheiratetes) Edelfräulein, später hingegen ein „junges, sexuell unberührtes Mädchen”. Auch Duden definiert „Jungfrau” als „(besonders weibliche) Person, die noch keinen Geschlechtsverkehr gehabt hat” (Stand Juli 2017). Der Begriff bezieht sich demnach auf beide Geschlechter, vor allem aber auf das weibliche.

Es ist kein Geheimnis, dass Jungfräulichkeit gerade in patriarchalischen Gesellschaften einen immensen Stellenwert hat. Sie galt im Mittelalter sogar als Bedingung für eine Verheiratung. War eine ledige Frau bei der Hochzeit dennoch nicht mehr unberührt, so konnte sie als Zeichen ihrer Schande gezwungen werden, statt des üblichen Jungfrauenkranzes aus Myrten, ohne Kranz oder mit einem Strohkranz zum Altar geführt zu werden.

Bis ins 20. Jahrhundert wurden Frauen in Europa außerdem auch rechtlich geschützt: Männern, die ihre Verlobte deflorierten, ohne sie danach zu heiraten, drohte in Deutschland die Zahlung eines sogenannten Kranzgeldes, um ihre gesunkenen Chancen auf dem Heiratsmarkt „wieder gut zu machen”. Letzte Urteile dieser Art wurden hierzulande bis in die frühen 1970er Jahre vollstreckt.

Wenn Laken sprechen könnten

Und wie wurde getestet, ob eine Frau wirklich noch jungfräulich ist? Mit einem blutigen Laken in der Hochzeitsnacht natürlich. Das Vorhandensein eines unbeschädigten Jungfernhäutchens, beziehungsweise dessen Einreißen, beim ersten Geschlechtsverkehr wurde als Beweis für ihre Jungfräulichkeit angesehen.

Ein Bild, das man aus Filmen kennt – allerdings nur aus Filmen. Aus medizinischer Sicht ist heute nämlich klar, dass dieser „Beweis” nichts taugt und das Hymen nicht reißen kann: Die dünne Hautfalte, die die Vaginalöffnung umrahmen, teilweise auch überdecken kann, ist weich, elastisch und in den meisten Fällen nicht geschlossen ist. Die Mehrheit der Frauen blutet noch nicht einmal bei ihrem ersten Geschlechtsverkehr.

Aus Gründen wie diesen wurde in Schweden 2009 sogar offiziell ein neues Wort für „Jungfernhäutchen” eingeführt: vaginale Korona (wörtlich: Scheidenkranz). Experten erklären sich die berüchtigten blutigen Laken mit einer früheren Zeit, in der junge Mädchen an ältere Männer zwangsverheiratet wurden und wahrscheinlich in ihrer Hochzeitsnacht Verletzungen im Genitalbereich erlitten.

Wie wäre es mit Vielen ersten Malen?

Wenn man sich dem Thema „Jungfräulichkeit” aus einer feministischen Perspektive heraus nähert, kann man nicht anders, als Wort und Konzept abzulehnen. Es gibt so viele Dinge daran, die ich als störend und diskriminierend empfinde. Von den fatalen Konsequenzen, die Sex vor der Ehe für Frauen haben kann, mal ganz abgesehen. (Bestrafungen sind noch mal ein eigenständiges und äußerst umfangreiches Thema für sich.).

Vor allem in muslimischen Kulturen kommt es vor, dass Frauen chirurgische Eingriffe vornehmen lassen, um den gewünschten „Beweis” für ihre Jungfräulichkeit liefern zu können. Bei der Hymenalrekonstruktion wird der Hymenalsaum operativ aufgebaut, sodass er beim Geschlechtsverkehr einreißt und zu bluten beginnt. Alternativ wird eine Kunststoffmembran mit Kunstblut eingesetzt. Dass die Nachfrage nach solchen Eingriffen auch in Deutschland und der Schweiz steigt, war bereits Thema im Deutschen Ärzteblatt.

Besonders evident bei der Idealisierung von Jungfräulichkeit ist für mich der Verlustgedanke: Frau hat ersten Geschlechtsverkehr mit Mann, Frau verliert ihre Unschuld. Frau ist dadurch weniger rein als vorher. Verstaubt, heteronormativ und misogyn!

Die Forderung, das Mädchen dürfe in die Ehe mit dem einen Manne nicht die Erinnerung an Sexualverkehr mit einem anderen mitbringen, ist ja nichts als die konsequente Fortführung des ausschließlichen Besitzrechtes auf das Weib, welches das Recht auf Monogamie ausmacht, die Erstreckung dieses Monopols auf die Vergangenheit.Sigmund Freud – Tabu der Virginität

Mit Anfang 20 wäre ich per Definition der beiden Busfahrenden übrigens auch noch Jungfrau gewesen. Habe ich mich als solche bezeichnet oder mich als solche gefühlt? Nein. Schließlich hatte ich vorher schon andere sexuelle Erfahrungen gemacht. Vaginalsex war nun mal nicht dabei. Warum? Weil ich kein gutes Gefühl dabei hatte, diese sexuelle Variante mit „irgendwem” auszuprobieren. Der richtige Partner war damals eben nicht in Sicht und ich war nicht bereit, jemanden körperlich und damit auch emotional in mich aufzunehmen.

Schlecht habe ich mich mit dieser Einstellung im Allgemeinen nicht gefühlt. Anders wurde es natürlich, als sie in Gesprächen mit Freunden und Familie explizit zum Thema gemacht wurde: „Was? Du hast noch nicht?”. Wie ein Stigma, das auf mir lastete. Wie müssen sich erst wesentlich ältere Menschen fühlen, die – aus was für Gründen auch immer – nicht sexuell aktiv sind. In der Haut einer männlichen Jungfrau möchte ich ebenfalls nicht stecken. Ich schätze mal, dass Jungfräulichkeit ab einem gewissen Alter schnell mit Unmännlichkeit gleichgesetzt wird.

Für mich ist das Wort „Jungfrau” falsch, irrelevant und überholt. Mir gefällt die Vorstellung vieler erster Male. Jede neue sexuelle Erfahrung fühlt sich wie ein erstes Mal an. Jedem neuen Menschen näher zu kommen, fühlt sich wie ein erstes Mal an. Vielleicht würde ich „Jungfrau” durch „sexuell unerfahren” ersetzen, sofern der Begriff gebraucht wird. Zum Beispiel dann, wenn Menschen ihrem Partner mitteilen wollen, mehr Zeit für den ersten Sex in einer neuen Beziehung zu brauchen. Problematisch ist allerdings, dass an dieser Stelle wieder die Vorstellung einer partnerschaftlichen Verbindung durchscheint. Eine Frau, die viel Erfahrung mit Masturbation oder dem Gebrauch von Sextoys hat, per (klassischer) Definition aber noch Jungfrau ist, würde ich nicht als „sexuell unerfahren” bezeichnen. Vielleicht lässt sich für dieses Sprachproblem noch eine andere Lösung finden.

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Warum ein Leben ohne Küssen völlig sinnlos ist http://nordkind.blog/geschichten/meinung/warum-ein-leben-ohne-kuessen-voellig-sinnlos-ist http://nordkind.blog/geschichten/meinung/warum-ein-leben-ohne-kuessen-voellig-sinnlos-ist#respond Fri, 30 Jun 2017 09:24:10 +0000 http://nordkind.blog/?p=1575 Jeder erste Kuss hat seine Geschichte. Er ist für mich wie eine Liebeserklärung ohne Worte. Ein Tanz der Zungen – leidenschaftlich wie ein Tango. Wild wie Rock’n’Roll. Oder so sanft wie ein Schwof. Jedoch immer im gleichen Takt. Der erste Kuss kann die Physik durcheinander bringen: Ist er perfekt, verliert sich Zeit und Raum. Die […]

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Jeder erste Kuss hat seine Geschichte. Er ist für mich wie eine Liebeserklärung ohne Worte. Ein Tanz der Zungen – leidenschaftlich wie ein Tango. Wild wie Rock’n’Roll. Oder so sanft wie ein Schwof. Jedoch immer im gleichen Takt.

Der erste Kuss kann die Physik durcheinander bringen: Ist er perfekt, verliert sich Zeit und Raum. Die Erde dreht sich nicht mehr, nur alles im Kopf, beim Aufeinandertreffen der Lippen. Wenn der Austausch der Geheimnisse beginnt. Tausende von Nerven verzückt Botenstoffe aussenden. Dieser Kuss zeigt der Biologie, wer im Spiel der Hormone den Hut auf hat. Was er anrichten kann – wenn sie den Kopf leerfegen und sich zur Demo unterhalb des Zwerchfells treffen. Wenn beim Berühren der Lippen ein Hormon-Cocktail produziert wird, der berauschender ist als Alkohol oder Schuhe kaufen.

Der perfekte Kuss ist ein bisschen wie die Ballannahme beim Fußball. Ab Sekunde eins ist klar: Der spielt nicht in der Kreisliga, das hier ist Champions League. Die Zunge als Ball, auf der Suche nach dem Mitspieler, im perfekten Doppelpass. Der erste Kuss kann mehr sein als ein Tor. Er ist Sieg und gefühlte Meisterschaft. Einmalig. Und leider nicht wiederholbar.

Wild, gierig und umgekehrt

Deshalb ist er für mich das Kostbarste zwischen zwei Menschen. Unabhängig davon, was sich aus dem Kuss ergibt. Das muss nicht Liebe sein. Aber um perfekt zu sein, muss er etwas Überraschendes haben. Verspielt sein, wenn ich es wild oder gar gierig erwartet habe. Und umgekehrt. Er sollte mich die Welt vergessen lassen. Mich in eine andere Umlaufbahn bringen. Ohne, dass ich davon etwas merke.

Ich möchte auch nicht wissen, dass in meinem Lippen rund 10.000 Nervenenden stecken. Ich möchte nur, dass sie alle Lambarda tanzen, wenn andere Lippen meine berühren. Ein Lippenbekenntnis ohne Worte. Mit viel Gefühl. Ein Rausch. Und die Gewissheit, dass der perfekte Kuss immer in Erinnerung bleibt. Wie eine Narbe, über die man streicht. Die für immer bleibt und eine ganz eigene Geschichte hat.

Appreciate the moment of a first kiss. It may be the last time you own your heart.r. m. drake

Mein erster kuss

Wer im Internat – in meinem Fall das Niedersächsische Internatsgymnasium im Bederkesa – etwas auf sich hielt, der saß im Fernsehzimmer immer auf der unbequemen Pritsche. Die war ungepolstert, aber dort lümmelten sich die Coolsten der Coolen. Ein Sitz auf der Pritsche war der direkte Weg zum Olymp der Unnahbaren. Genau auf dieser Pritsche dort bekam ich meinen ersten Zungenkuss.

Vorbereitung ist das halbe Leben. Ich war kusstechnisch so jungfräulich wie meine Freundin und Zimmergenossin Alex, die alle Sandy nannten. Ich weiß nicht mehr warum. Wir beide waren in der sechsten Klasse. Also eigentlich kurz vor dem Eintreten ins Erwachsenenleben. Uns beiden war klar, dass die große Stunde bevorstand. Der Moment, in dem wir dem Status Teenie „Lebe wohl” sagen und zur Frau werden würden. Zumindest haben wir uns das so vorgestellt. Blöd nur: Keiner von uns beiden konnte mit irgendwelchen Erfahrungen aufwarten. Wir waren im wahrsten Sinne des Wortes unbeleckt. Also mussten wir üben, üben, üben. Nur wie?

Als erstes musste die eigene Handfläche herhalten. Super praktisch, beantwortete allerdings nicht die wichtigsten Fragen. Woher weiß ich, ob mein Kopf nach links oder rechts muss? Wie verhindere ich, dass wir mit den Nasen aneinanderknallen? Wann macht man den Mund auf? Und was macht die Zunge überhaupt?

Ab ins Bootcamp

Vor lauter albernen Rumgekicher kamen wir mit dem Kusstraining ohnehin nicht so weit. Aber als Sandy einen Lover am Start hatte und ich auch, da ging es ins Bootcamp – mit zwei Teilnehmern. Uns. Es stellte sich raus, dass wir beide uns auf Anhieb sehr gut verstanden. Wir dupsten nicht mit den Nasen aneinander und immer, wenn unsere Zungen fast berührten, brachen wir das Experiment ab. Prepared. Das große Abenteuer konnte beginnen. Aber es ließ auf sich warten. Sandy verzweifelte an ihrem Lover, der es irgendwie nicht auf die Kette bekam, sie zu küssen. Völlig undenkbar, dass sie den ersten Schritt unternahm. Jeden Abend klagte sie mir ihr Leid. Und ich ihr meins.

Michael W. war älter als ich. Mein erster Freund. Also mit „Willst du mit mir gehen?” und so. Aber außer Händchen halten und Küsschen auf die Wange war absolut tote Hose. Was für Knaller hatten wir uns da nur ausgesucht? Während wir uns einig waren, dass wir unseren Status „Ungeküsst” schleunigst verändern mussten, war uns auch klar, dass wir keinen blassen Schimmer hatten, wie das gehen soll.

An einem Donnerstagabend war wieder irgend so ein Film angesagt. Treffen im Fernsehzimmer. Auf der Pritsche war natürlich kein Platz mehr, aber Michael rückte ein Stück zur Seite, ich quetschte mich neben ihn. Händchen halten. Verliebt schauen. Kichern. Doch das wurde schnell langweilig. Ich wollte gehen, er wollte einen Kuss und eh ich mich versah, war seine Zunge in meinem Mund. Meine – glaube ich – in seinem.

Wie ein Banküberfall

Das Ganze hatte ein bisschen was von einem Banküberfall. Seine Zunge pflückte über meine Zähne, touchierte das Zäpfchen, rauschte zurück über den Gaumen. Da realisierte ich, was gerade passiert. Davon ab, hätte seine Zunge nicht irgendwas mit meiner machen müssen? Meine Zunge zog sich beleidigt zurück. Kuss vorbei und Peinlichkeit an. Auch wenn das Ganze bestimmt nur wenige Sekunden gedauert hat, so fühlte es sich an wie ein Ewigkeit.

Und es blieb nicht unbeobachtet. Von rechts und links starrten uns die anderen an. Pure Peinlichkeit. Mehr geht nicht. Ich verschwand im Stechschritt ins Zimmer, wo ich Sandy heulend antraf. Ihr Date hatte mal wieder nichts ergeben, erzählte sie mir unter Tränen. Ich erzählte ihr von meinem ersten Kuss. Wir waren uns einig. Die Sache mit dem Erwachsenwerden hatte noch ein bisschen Zeit. Ungefähr zwei Wochen. Dann kam Lars H. und ein Kuss, der mich glatt von den Beinen zog. Herrlich.

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Wenig Zeit, viel Stress: Wie Routine dagegen hilft http://nordkind.blog/leben/arbeitswelt/wenig-zeit-viel-stress-wie-routine-dagegen-hilft http://nordkind.blog/leben/arbeitswelt/wenig-zeit-viel-stress-wie-routine-dagegen-hilft#respond Wed, 21 Jun 2017 20:07:57 +0000 http://nordkind.blog/?p=2807 Stress auf der Arbeit kann extrem anstrengend sein und sich schnell zur Dauerbelastung für die körperliche und geistige Gesundheit entwickeln. Was mir dabei hilft, meine Aufgaben strukturiert und schnell zu erledigen, ist Routine. Sie hilft mir außerdem dabei, stärker auf mich, meine eigenen Bedürfnisse und auf meine Gesundheit zu achten. Der Übergang von der Uni- in die Arbeitswelt war hart. Ich hatte zwar schon […]

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Stress auf der Arbeit kann extrem anstrengend sein und sich schnell zur Dauerbelastung für die körperliche und geistige Gesundheit entwickeln. Was mir dabei hilft, meine Aufgaben strukturiert und schnell zu erledigen, ist Routine. Sie hilft mir außerdem dabei, stärker auf mich, meine eigenen Bedürfnisse und auf meine Gesundheit zu achten.

Der Übergang von der Uni- in die Arbeitswelt war hart. Ich hatte zwar schon früher viel gelernt und immer viel Fleiß in meine Arbeit gesteckt – aber das heute? Das ist etwas anderes! Auf einmal geht es nicht mehr nur um meine eigene Vita. Es geht nicht mehr um die Frage, ob ich 12, 13, 14 oder 15 Punkte auf eine Hausarbeit bekomme und meinen Notendurchschnitt dadurch halten kann. Ich bin jetzt Teil eines Ganzen, das funktionieren muss. Ich habe Kollegen, mit denen ich zusammenarbeite und die ich nicht enttäuschen möchte. Ich habe Kollegen, die mich deswegen auch stärker beurteilen, als es vorher der Fall war. Ich habe das Gefühl, noch mehr funktionieren zu müssen als vorher. Resultat: Leistungsdruck von allen Seiten. Leistungsdruck, dem ich mich anfangs voll und ganz hingegeben habe. So wie früher eben, nur in stärkerer Form.

Da ich jedoch ein sehr feinfühliger Mensch bin und bereits in der Vergangenheit erlebt habe, wie es ist, sich voll und ganz auszupowern, habe ich seit einiger Zeit damit angefangen, meine Arbeit stärker zu strukturieren und stärker auf Grenzen zu achten. Zur Prophylaxe sozusagen. Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Nervosität, Gewichtszunahme – all das sind gute Ratgeber, die mir gezeigt haben, dass es Zeit dafür ist. Was mir hilft ist Routine – vor der Arbeit, während der Arbeit und nach der Arbeit.

Vor der Arbeit

Früh aufstehen lautet mein oberstes Credo. Warum? Um Zeit für mich zu haben und den Tag nicht mit Eile beginnen zu müssen. Für mich gibt es nichts Schlimmeres, als mir morgens schnell ein Frühstück reinzudrücken, zur Arbeit zu hetzen und dort das Gefühl zu haben, am liebsten sofort wieder duschen zu gehen. Diese neue, alte Gewohnheit spielt mir als Morgenmensch zugegeben in die Karten.

An Werktagen versuche ich außerdem jeden Morgen Sport zu machen, mindestens 30, am besten 60 Minuten. Pilates, Stepper oder eine Mischung aus Joggen und Walken. Alles kein Hochleistungs- oder Abnehmsport. Alles nichts, was andere auf Instagram posten würden, um sich und ihren Körper dort zu präsentieren. Einfach nur Sport. Sport für mich, für mein Wohlbefinden und für meinen ohnehin schmerzanfälligen und geplagten Rücken, der ohne wahrscheinlich auseinanderfallen würde. Jahrelange Schreibtischarbeit zeigt nämlich schon jetzt ihre Auswirkungen bei mir.

Während der Arbeit

Ich bin ein großer Freund von To-do-Listen. Das war ich schon immer. Ist eine Charaktersache, denke ich. Auch wenn ich nachvollziehen kann, dass To-do-Listen auch das Gefühl vermitteln können, langsam im dichten Dschungel von Arbeitsaufgaben zu ersticken. Solche Listen haben nämlich den Nachteil an besonders arbeitsintensiven Tagen, länger und länger zu werden. Da das psychologisch nicht gerade förderlich ist, habe ich mir angewöhnt eine Kombination aus To-do-Liste und Mindmap zu machen, die ich nach bestimmten Bereichen gliedere, oftmals auch hierarchisch: „Privates” und „Arbeit” lautet meine Haupteinteilung, meistens auf zwei verschiedenen Zetteln. Im Bereich „Arbeit” trenne ich derzeit wiederum mein „Alltagsgeschäft” von meiner „Projektarbeit”. Eingefügt werden zu erledigende Urlaubsanträge („Alltagsgeschäft”) oder organisatorische Mails („Projekt”) – je nachdem, was anliegt. Die einzelnen Punkte arbeite ich dann nach Prioritäten ab. Das ist mir sehr wichtig. Wenn etwas weniger Akutes auf meiner Liste stehen bleibt, finde ich das nicht schlimm. Am Ende jedes Arbeitstages lege ich eine neue Liste an – sozusagen als letzte Tätigkeit, bevor ich das Büro verlasse. Der Vorteil: Am nächsten Morgen habe ich einen genauen Überblick über meine Aufgaben. Ich muss keinen großen Geistesaufwand investieren, um mich selbst erst wieder neu zu ordnen.

Fernab von allen Aufgaben, die sich innerhalb des Tages ansammeln, besteht einer meiner wichtigsten Routineabläufe darin, tatsächlich meine Mittagspause zu nehmen. Und das ist keine Selbstverständlichkeit wohlgemerkt! Oftmals macht sich auch das schlechte Gewissen in mir breit – viele Kollegen schieben sich nur zwischendurch ein Brötchen am Arbeitsplatz rein, weil ihr Pensum schlichtweg zu groß ist. Aber was soll ich tun? Ich funktioniere nicht ohne richtige Mittagsmahlzeit, bekomme Kopfschmerzen oder niedrigen Blutdruck. Ob ich unter solchen Umständen gute Arbeit leisten kann, ist fraglich. Bevor ich meine 60 Minuten Auszeit nehme, schließe ich allerdings wichtige Gedankengänge ab, an denen ich gerade grüble. Wenn der Flow da ist, möchte ich ihn auch nutzen. Im Anschluss heißt es dann, nach draußen zu gehen. Ich esse nämlich nicht in der Kantine, sondern außer Haus, um im wahrsten Sinne des Wortes andere Tapeten zu sehen. Meistens gönne ich mir eine Kleinigkeit im Restaurant, weil ich zugegeben keine Lust habe, abends vorzukochen. Mein kleiner Luxus.

Beim Thema Ernährung verdient es ein Punkt meiner Meinung nach, besonders hervorgehoben zu werden – ich trinke sehr viel Wasser. Nicht nur in der Mittagspause, sondern auch während der Arbeit. Als ich angefangen habe zu arbeiten, habe ich diese Routine viel zu lange schleifen lassen. Resultat: Schlechte Haut, oft Kopfschmerzen, Unwohlsein. Ein Gang zur Toilette bietet außerdem den Vorteil, sich während der Arbeit mehr zu bewegen.

Wieder zu den ernsten Themen: Seine E-Mails zu checken, ist vor allem für interne Kommunikation wichtig. „Können wir uns kurz treffen und über Thema X reden?” Sowas passiert oft. Ich habe mir allerdings angewöhnt, mein Postfach nicht mehr ständig offen zu lassen, sondern es circa im Abstand von 1,5 bis 2 Stunden zu checken. Die ständigen Reize lenken mich extrem ab – insbesondere dann, wenn ich einen Text schreibe, der bald fertig sein muss. Auf jeden Fall öffne ich mein Postfach noch einmal vor Arbeitsende, etwa 30 Minuten vorher. Ich schließe wichtige Gespräche ab und weise vielleicht auch darauf hin, für heute nicht mehr erreichbar zu sein. In akuten Fällen gibt es schließlich meine interne Telefonnummer, unter der ich fünf Minuten vor Schluss noch zu erreichen bin.

Und nun das große Finale, das hart umkämpfte Finale jedes Arbeitstages: der Feierabend. Ich gehe pünktlich nach Hause – auch auf die Gefahr hin, sich bei dem ein oder anderen Kollegen unbeliebt zu machen und den Eindruck zu erwecken, nicht genug Einsatz zu zeigen. Dass gerade letzteres nicht so ist, weiß dann zwar nur ich – aber das reicht mir. Das muss mir reichen. Wiederholung: Wer sensibel ist, aber gleichzeitig die Tendenz hat, sich auszupowern, sollte sehr gut auf seine Gesundheit achten. Pünktlich zu gehen, ist für mich eine Form von Überlebenstraining, um vorzeitiges Burnout zu vermeiden. Denn wer achtet auf meine Gesundheit, wenn ich es nicht selbst tue?

Nach der Arbeit

Ich habe vor Kurzem eine neue Investition getätigt und mir ein Diensthandy angeschafft. Ständige Erreichbarkeit macht mich fertig. Wenn zu jeder Zeit das Handy klingelt, weiß ich irgendwann nicht mehr, wo oben und unten ist. Deswegen ist es mir sehr wichtig, abends und am Wochenende meine Ruhe zu haben und neue Energie zu tanken – auch, um nächste Woche wieder auf der Arbeit funktionieren zu können. Das Diensthandy schalte ich abends aus. Bei solchen Aussagen besteht natürlich wieder die große Gefahr, verurteilt zu werden: „Du bist zu sensibel”, „Du bist nicht leistungsfähig”, „Du suchst doch nur Ausreden”, „Du bist unkollegial” – oder was auch immer. Wer nicht weiß, wie es ist, feinfühlig zu sein, sollte sich diese Kommentare verkneifen und sich meine Arbeitsergebnisse angucken. Wenn die schlecht wären, darf meinetwegen geurteilt werden.

Nach der Arbeit pflege ich mein Privatleben. Wann sollte ich es auch sonst tun? Ich schreibe bei WhatsApp mit alten Freunden oder gehe raus, an den Deich vielleicht. Auch hier geht es bei mir mehr in Richtung Ruhe. Ein Typ für „party hard” bin ich nicht. Lieber entspannt mit meiner besten Freundin eine Weinschorle trinken und auf den Hafen blicken. Und wenn ich darauf keine Lust habe, liege ich einfach auf meinem Sofa und gucke einen Film. Es kann auch passieren, dass ich abends den Fernseher laufen lasse und bügele. Weniger cool, aber auch der Haushalt muss irgendwie gemacht werden. Nebenbei: Mein Respekt für alle Eltern, die es neben ihrer 40-Stunden-Woche noch hinbekommen, sich um ihre Kinder zu kümmern, ihren Haushalt zu schmeißen und im besten Falle noch Zeit für ihre Freunde und ihre Familie finden. Ich bin mal gespannt, wie das bei mir ist, wenn ich in der Zukunft mal in die Situation kommen sollte.

Das Heiligste ist mir mein Wochenende. Das Wochenende brauche ich noch mehr zur Regeneration als einen Abend innerhalb der Woche. Mein Diensthandy ist dann definitiv ausgeschaltet, Mails werden nicht gecheckt. Auch aus dem Grunde, da ich eine Fernbeziehung führe. Mein Freund und ich haben ohnehin wenig Zeit, die wir miteinander verbringen können – ganz klar, dass er am Wochenende im Vordergrund steht. Wer mir außerdem sehr wichtig ist, ist meine Oma. Gerade die ist in der jüngsten Vergangenheit zu kurz gekommen. Und da ich das später nicht bereuen möchte, wird es Zeit, sie am Wochenende zu besuchen.

Routine ja, aber kein Zwang

Wenn ich es mal nicht schaffe, meine eigene Routine in die Praxis umzusetzen, ist es auch so. Pilates zum Beispiel ist keine Pflicht. In einem pseudo-perfekten Leben vielleicht, aber nicht in meinem. Wenn ich mit Kopf- oder Unterleibsschmerzen aufwache, mache ich es nicht. Punkt. Kein Grund sich deswegen schlecht zu fühlen.

Es ist mir außerdem sehr wichtig zu betonen, dass dieser Text kein generalisierender Text ist. Es ist meine Perspektive, die ich derzeit auf mich, mein Leben und meine Arbeit habe: Ich bin 26 und habe nach der Uni angefangen, in den Medien zu arbeiten. Wie ein junger Arzt in der Notaufnahme seinen Arbeitsalltag verbringt, kann ich nicht sagen.

Was meine Branche angeht, spreche ich auch nicht von Phasen, in denen neue Projekte anstehen und in denen Überstunden nicht zu vermeiden sind. Ich plädiere nicht dafür, jeden Tag pünktlich um 18 Uhr den Stift fallen zu lassen und Nachrichten von aktuellen Weltgeschehnissen zu ignorieren, die genau in diesem Moment reinkommen. Nach dem Motto: Lass die anderen mal machen. Wenn ich mal länger arbeite, ist es okay und manchmal eben nötig. Mir geht es nicht um die Ausnahmen. Es geht mir um den Durchschnitt. Und beim Durchschnitt hat Routine sich für mich bewährt. Sie hilft mir dabei, alles unter einen Hut zu bekommen. Sie hilft mir dabei, auf mich, meine Gesundheit und mein Privatleben zu achten.

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5 Songs, die mein Leben verändert haben http://nordkind.blog/kultur/musik/5-songs-die-mein-leben-veraendert-haben http://nordkind.blog/kultur/musik/5-songs-die-mein-leben-veraendert-haben#respond Fri, 16 Jun 2017 10:48:40 +0000 http://nordkind.blog/?p=2605 Fünf Songs auszuwählen, die das eigene Leben geprägt haben, und die es immer noch prägen, ist verdammt schwer. Vor allem für eine Musikverrückte wie mich. Viel zu viele Möglichkeiten. 50 wären mir lieber als 5. Auswählen zwingt außerdem zum Reflektieren: Welcher Song war wirklich wichtig für mich, für mein Leben? Was habe ich überhaupt erlebt? Was hat […]

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Fünf Songs auszuwählen, die das eigene Leben geprägt haben, und die es immer noch prägen, ist verdammt schwer. Vor allem für eine Musikverrückte wie mich. Viel zu viele Möglichkeiten. 50 wären mir lieber als 5. Auswählen zwingt außerdem zum Reflektieren: Welcher Song war wirklich wichtig für mich, für mein Leben? Was habe ich überhaupt erlebt? Was hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich jetzt bin? Spannende Fragen. Hier meine Antworten.

Ich war noch nie besonders religiös, geschweige denn bibelfest. Ich glaube an Liebe und an christliche Werte wie Nächstenliebe und Demut, um im Vokabular der großen Weltregionen zu bleiben. Was meinen persönlichen Glauben angeht, der mir im Alltag hilft und mich in meinem Tun bestärkt, glaube ich an den Rock’n’Roll: Ich glaube an den Menschen. Ich glaube an den Menschen, der über sein Leben singt. Ich glaube an Hingabe, Leidenschaft und Kreativität. Ich glaube an die Freiheit so zu sein, wie man ist.

„Good Riddance” – Green Day

Meine Liebe zu Green Day geht unter die Haut – im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe den Schriftzug „Good Riddance” nämlich als Tattoo auf meinem Nacken verewigen lassen. Das war damals: Damals, zur Zeit meines Bachelorstudiums. Damals, als mich viele private Schicksalsschläge getroffen haben. Damals, als viele Kommilitonen ihre Studienzeit genossen haben und ich heulend in der Ecke gehockt habe. Damals, als ich deswegen oft Panikattacken bekommen habe. Damals, als ich endgültig erwachsen werden musste. Mir das Tattoo stechen zu lassen, hatte eine kathartische Wirkung:

„Another turning point
a fork stuck in the road.
Time grabs you by the wrist
directs you where to go.
So make the best of this test and don’t ask why.
It’s not a question, but a lesson learnted in time.
It’s something unpredictable
but in the end ist right.
I hope you had the time of your life.”

Green Day waren meine erste große Liebe. Frontmann Billie Joe Armstrong hat mir durch seine Musik gezeigt, was Hingabe und Leidenschaft bedeuten. Ohne ihn wäre ich sicherlich nicht hier, wo ich jetzt gerade bin. Den Song „Good Riddance” hat er in jungen Jahren geschrieben. Ein bittersüßes Trennungslied für seine Ex-Freundin. Gleichzeitig ein Lied, mit einer bedeutenden Message: „Egal was passiert, frag nicht nach der Ursache, sondern mach das Beste daraus. Was passiert ist und was du getan hast, war die ganze Zeit etwas wert. Und das wird es auch danach immer sein.” Mein Lebensmotto.

„You can’t always get what you want” – The Rolling Stones

Gewisse Dinge lernt man erst später im Leben – zum Beispiel, dass Märchen eben nur Märchen sind und nichts mit der Realität zu tun zu haben. Dass Wünsche, die man sich früher in den prächtigsten Farben ausgemalt hat, einfach nicht erfüllt werden – egal, wie viel Ehrgeiz, Energie und Leidenschaft man in den jeweiligen Wunsch investiert hat. Manchmal stimmen die Umstände im Leben einfach nicht.

Die Einsicht, dass sich das Leben nicht kontrollieren lässt, kann frustrierend sein. Vor allem dann, wenn man von Haus aus ein sehr idealistischer und ehrgeiziger Mensch ist. Dann ist diese Einsicht sogar sehr frustrierend. Beides, Hilfestellung und Hoffnungsschimmer, findet sich bei keinen geringeren als den weisen Rolling Stones:

„You can‘t always get what you want.
But if you try sometimes well you might find.
You get what you need.”

„Basket Case” – Green Day

Ich wurde mal gefragt, welcher Song mich am besten beschreibt. Meine Antwort: „Traurig, aber wahr. Ganz eindeutig ‚Basket Case’ von Green Day.“ Der Song, der in den 90ern aus kleinen Punk-Gören aus San Francisco internationale Superstars machte. Armstrong verarbeitet darin seine eigenen Probleme mit Angst und Panikattacken:

„I am one of those melodramatic fools.
Neurotic to the bone, no doubt about it.
Sometimes I give myself the creeps.
Sometimes my mind plays tricks on me.
It all keeps adding up, I Think I‘m cracking up.
Am I just paranoid? Am I just stoned.” 

Gedanken, die mir alle nicht fremd sind. Bis auf den Teil mit dem „stoned” vielleicht. Feinfühligkeit und Intelligenz sind eine gute Grundlage dafür, zu viel über Dinge, Ereignisse, Beziehungen, whatever nachzudenken und sich in die eigenen Denkprozesse reinzusteigern. Sich soweit reinzusteigern, bis man es tatsächlich mit chronischer Angst und ausgewachsenen Panikattacken zu tun bekommt.

Ich liebe Green Day vor allem aus dem Grunde, weil ich mich mit Billie Joe identifizieren kann – mit seinen Gefühlen und seinem Gedankengut. Geteiltes Leid ist halbes Leid und geteilte Freude ist doppelte Freude.

„Dead Inside” – Muse

Als „Dead Inside”, beziehungsweise das Album „Drones”, veröffentlicht wurde (2015), ist mir schlagartig ein Licht aufgegangen: Zur gleichen Zeit habe ich eine richtig üble Liebesgeschichte mit einem Mann erlebt. Vorher wusste ich nicht, wie intensiv Liebe sein kann, in jeglicher Hinsicht. Warum hat mich dieser Mensch so behandelt? Warum nur? Im Anschluss habe ich sogar psychologische Texte gelesen. Meine Diagnose: Ambivalenz. Fixierung auf eigene Bedürfnisse, infantiler Entwicklungsstand auf der Gefühlsebene. So etwas dachte ich mir schon vorher. Mit ihm umzugehen, war nie wirklich einfach gewesen. Das war also die rationale Bestätigung für das, was ich geahnt hatte. Aber eben nur die rationale. Viel besser ging es mir dadurch nicht – zumindest nicht, bis ich auch die emotionale Erklärung erhalten habe:

„Dead Inside.
Reverve a million prayers.
And draw me into your holiness.
But there‘s nothing there.
Light only shines from those who share.
Unleash a million drones.
And confine me then erase me babe.
Do you have no soul?
It’s like it died long ago.”

Viele Menschen sind nicht in der Lage, zu lieben. Retrospektiv betrachtet, lässt sich der Großteil negativer Erfahrungen mit Mitmenschen unter dieser Feststellung zusammenfassen – auch wenn es selbstgefällig klingt. Mir egal. Ich für meinen Teil weiß das Gute dadurch jetzt noch mehr zu schätzen. Das Gute, was nur Sinn neben dem Schlechten macht.

„Summer Wine” – Lana Del Rey

Ich weiß, ich weiß. „Summer Wine” ist ein uraltes Lied aus den 60ern. Geschrieben von Lee Hazlewood, aufgenommen und veröffentlicht im Duett mit Nancy Sinatra. Außerdem sind Cover nicht immer eine kluge Idee – aber die Version von Lana Del Rey und ihrem damaligen Freund Barry O’ Neill (Kassidy), ist einfach nur Erotik pur. Für mich der Inbegriff von Sinnlichkeit.

Zugegeben, ich war immer skeptisch gegenüber Lana: Divenhaft-amerikanische Inszenierung sowie Romantisierung von Schmerz und Vergänglichkeit. Das war mir alles ein bisschen zu gewollt. Aber was soll ich tun? Bei „Summer Wine” hatte sie mich auf einmal: Lanas Stimme klingt wie ein süßer Nebel, ein sanftes Versprechen auf Glück, dem man sich einfach nicht entziehen kann. Sie ist das Licht, ich bin die Motte:

„When I woke up the sun was shinig in my eyes.
My silver spurs were gone my head felt twice it´s size.
She took my silver spurs a dollar and A dime
and Left my cravin’ for more summer wine
oh-oh summer wine.”

Die Stimmung hat etwas von einem Vanitas-Stillleben: Einen Hauch von Vergänglichkeit, wie eine in voller Blüte stehende Rose, die dafür bestimmt ist, bald zu welken. Wie ein überreifer Pfirsich, dessen Saft mir beim Essen langsam über die Lippen läuft. Mehr Sex geht nicht. Ich liebes es, dieses Lied unter der Dusche zu hören. Manchmal auch bei anderen Anlässen.

5 Songs, 1 Leben

Im Grunde sind alle Songs, die ich ausgesucht habe, relativ schwer von ihrem Gedankengut her. Der letzte vielleicht weniger, wobei ich auch hier nicht unbedingt von Leichtigkeit sprechen würde, was die Aussageabsicht angeht. Bin ich also ein schwermütiger Mensch? Nein, das würde ich nicht sagen. Ich denke nur viel und habe in jungen Jahren schon so einiges erlebt. Meine Sichtweise auf das Leben hat sich dadurch verständlicherweise auch geändert. Die 5 Songs spiegeln das teilweise wieder.

Sich gut mit schweren Themen auszukennen, ist nicht gerade einfach, aber auch nicht besonders schlimm. Wie gesagt, ich weiß vieles mehr zu schätzen als früher. Ich bin mir außerdem darüber im Klaren, wie wichtig es ist, das eigene Leben zu genießen und so zu sein, wie man wirklich ist. In diesem Sinne: Rock’n’Roll.

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Bloody Women: Schluss mit bösem Blut http://nordkind.blog/kultur/gesellschaft/bloody-women-schluss-mit-boesem-blut http://nordkind.blog/kultur/gesellschaft/bloody-women-schluss-mit-boesem-blut#respond Thu, 15 Jun 2017 12:26:23 +0000 http://nordkind.blog/?p=2652 Ich habe meine Tage und leider keinen Tampon dabei. Kein Problem, ich frage einfach laut im Großraumbüro nach: „Hat jemand einen Tampon für mich?” Die Szene kommt dir wahrscheinlich komisch vor. Du hast mich ertappt. Das war ein kleiner Scherz und ist natürlich so noch nie passiert. Im echten Leben tue ich das hier: Ich gehe […]

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Ich habe meine Tage und leider keinen Tampon dabei. Kein Problem, ich frage einfach laut im Großraumbüro nach: „Hat jemand einen Tampon für mich?” Die Szene kommt dir wahrscheinlich komisch vor. Du hast mich ertappt. Das war ein kleiner Scherz und ist natürlich so noch nie passiert. Im echten Leben tue ich das hier: Ich gehe zur einer Kollegin und flüstere: „Hast du mal einen Tampon?” Sie kramt in ihrer Tasche und drückt es mir unauffällig in die Hand. Wir verhalten uns, als ginge es um Drogen.

Hätte ich Schnupfen und bräuchte ein Taschentuch, würde ich einfach laut fragen. Absurd. Meine Periode ist nicht mal eine Krankheit. Sie ist sogar das Gegenteil davon. Ich bin kerngesund und mein Körper macht sich jeden Monat bereit, ein Kind zu zeugen. Monatlich wandert eine Eizelle in meine Gebärmutter, wenn sie nicht befruchtet wird, blute ich sie wieder aus. Rotes Blut. Kein blaues, klinisches Gel, wie es in der Werbung gezeigt wird. Und die weiße Bettwäsche empfinde ich in den Werbespots auch als sehr beschönigend. Die Periode ist nicht schön, aber sie ist ein natürlicher Prozess. Ein verdammt nochmal natürlicher Kreislauf. Das Bluten kann ich nicht kontrollieren und auch nicht vorhersagen. Läuft bei mir.

Und manchmal wird das Bluten von Krämpfen begleitet. Das ist für niemanden eine Neuigkeit. Auch nicht für Männer. Und trotzdem würde ich es niemals auf der Arbeit sagen. Stattdessen lasse ich mir – wenn es wirklich mal schlimm ist – eine Ausrede einfallen, wenn ich zu Hause bleiben muss, weil ich mich einfach kaum bewegen kann und mit Wärmflasche auf dem Sofa liege. Auch in der Schule war ich an den Tagen „krank”.

„Geht’s dir wieder besser?”, wird man dann am nächsten Tag gefragt. „Äh, ja, geht wieder, danke.” Was ich hatte? „Migräne.” Wahlweise auch eine leichte Erkältung, Magenprobleme oder irgendetwas anderes, das nur einen Tag andauert. Ich komme mir dabei bescheuert vor, weil ich eigentlich weiß, dass ich es offen sagen könnte: Ich hatte Regelbeschwerden. Was mich davon abhält, ist die Befürchtung, nicht ernst genommen zu werden. Es gibt schließlich viele Frauen, die gar keine Beschwerden haben während ihrer Periode. Wie soll ich schon beweisen, dass meine Schmerzen echt sind? Dann meldet sich auch die Feministin in mir. Es ist wohl die größte Angst aller Frauen, nicht gleichwertig neben Männern dazustehen. Wenn ich manchmal ausfalle, weil ich menstruiere, bin ich ja quasi eine kleinere Arbeitskraft. Oh Gott, vielleicht meint dann einer, Frauen hätten es verdient, prozentual weniger zu verdienen als die Männer. Dann sage ich lieber einfach, ich hätte Migräne.

Ich will die Männer schonen

Aber es ist auch noch etwas anderes, das mich davon abhält, offen mit dem Thema umzugehen. Ich will die Männer schonen, sie sollen sich nicht unwohl fühlen, weil ich die Worte „Meine Tage” laut ausspreche. Rational gesehen ist das absurd, jeder Mann hat eine Mutter, viele haben Schwestern, eine Freundin oder eine Ehefrau an ihrer Seite. Die Periode ist kein Geheimnis. Sie ist nur ein Tabu. Und vermutlich ist es erst die Heimlichtuerei, die es für die Männer unangenehm macht. Frauen verhalten sich, als dürften Männer davon nichts mitbekommen und wenn sie es versehentlich doch tun, fühlen sie sich, als hätten sie etwas Verbotenes gehört.

Dabei leben wir in einer gleichberechtigten Gesellschaft. Wir könnten versuchen, Vorbild zu sein für andere Länder in denen Frauen als unrein gelten (Afghanistan, Indien) und während ihrer Periode nicht in ihrem eigenen Haus schlafen dürfen (Nepal). Dort weiß man nicht einmal, wodurch das Blut verursacht wird. Hygieneartikel gibt es natürlich auch nicht. Wir könnten das Tabu in unserer Gesellschaft außer Kraft setzen und dadurch vielleicht auch endlich neuen Wind in die eingeschlafene Tampon-Branche bringen. Menstruationstassen setzen sich langsam durch (die benutze ich selbst schon seit vier Jahren und finde sie super). Es gibt Öko-Binden, Bio-Tampons und spezielle Unterhosen, die man wäscht und wieder verwendet. Aber ansonsten sind die Produkte schon seit Jahrzehnten die gleichen. Und obwohl seit 1968 ein verminderter Steuersatz für Güter des täglichen Gebrauchs existiert, sind Tampons noch immer mit dem Regelsteuersatz von 19 Prozent versehen, statt dem geringeren mit 7 Prozent. Man bezahlt für Tampons mehr Steuern als für Kaviar! Eine Petition dagegen kannst du hier unterschreiben.

Kontrollwahn in Pillenform

Mein Eindruck ist, dass unsere Gesellschaft ein Problem mit Dingen hat, die nicht kontrolliert werden können. Die Periode gehört dazu. Wenn der Körper nicht funktioniert, werden Schmerzmittel eingeworfen. Wenn die Periode unregelmäßig kommt, wird die Pille verschrieben. Wenn sie besonders wehtut, nimmt man die Pille einfach drei Monate am Stück und unterdrückt somit drei Zyklen. Ich verstehe, warum Menschen das tun. Aber ich glaube, dass unsere Gesellschaft einen gefährlichen Kurs einnimmt. Denn wir können nicht alles kontrollieren. Und ganz nebenbei verlernen wir, auf unseren eigenen Körper zu hören. Kopfschmerzen können ein Warnsignal sein, das wir mit Aspirin schlicht unterdrücken und ignorieren. Frauen (nicht nur junge) werden unwissentlich schwanger, weil sie nicht wissen, dass die Pille nicht zu hundert Prozent schützt.

Menstruation, Verhütung, schmerzende Brüste – das Tabu der „Frauenthemen” ist gefährlich. Es gibt Mädchen, die beim ersten Mal gar nicht wissen, warum sie bluten. Das macht ihnen Angst. Viele Frauen haben noch nie davon gehört, dass Tampons Krankheiten übertragen können. Man spricht nicht darüber, man benutzt sie einfach. Dabei ist das Risiko am Toxischen Schocksyndrom zu erkranken viel geringer, wenn man Biotampons benutzt – aber auch die sind noch sehr unbekannt. Die meisten Frauen kaufen die gängigen Marken in der Drogerie.

Mein Plädoyer lautet nicht, dass Frauen nun ständig mit Männern über ihr Blut, ihren Ausfluss und Spannungsempfinden in ihren Brüsten sprechen sollen. Aber wenn man ins Schwimmbad eingeladen wird, ist es doch eigentlich ein Leichtes zu sagen: „Geht nicht, ich hab meine Regel.” Oder an der Arbeit ehrlich zu sein: „Ich hatte Regelbeschwerden.” Und wenn dir mal ein Tampon aus der Tasche fällt, ist das nicht peinlich. Es wäre dir auch nicht peinlich, wenn es Taschentücher wären.

Meine Tipps von Frau zu frau

In dem Buch „Verhüten ohne Hormone” von Dorothee Struck können Frauen viel über ihren Zyklus lernen. Struck schreibt unter anderem über Menstruationsbeschwerden und gibt Tipps. Sie beschreibt die Verhütungsmethode „Natürliche Familienplanung”, bei der man die eigene Temperatur misst und den Körper beobachtet.

Schafgarbentee gegen Regelbeschwerden ist einer der Tipps von Dorothee Struck, den ich seit ein paar Wochen ausprobiere. Den gibt es in Reformhäusern. Davon trinkt man täglich eine Tasse. Wenn das nicht hilft, gibt es auch noch Tees, die nur während der Periode getrunken werden. Die Mischungen enthalten oft Frauenmantel, Schafgarbenblüten oder Goldrutenkraut und werden in Kräuterläden und Apotheken verkauft.

Die Menstruationstasse ist eine umweltfreundliche und praktische Alternative zum Tampon. Das Beste daran: Du brauchst unterwegs keinen Ersatz dabei zu haben. Du leerst sie aus und verwendest sie wieder.

Auf meinem persönlichen Wunschzettel steht noch das Buch „Ebbe und Blut” von Luisa Stömer und Eva Wünsch. Sie schreiben, so versprechen es die Rezensionen, mit viel Fachwissen über das Tabuthema.

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