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Warum ein Leben ohne Küssen völlig sinnlos ist

Jeder erste Kuss hat seine Geschichte. Er ist für mich wie eine Liebeserklärung ohne Worte. Ein Tanz der Zungen – leidenschaftlich wie ein Tango. Wild wie Rock’n’Roll. Oder so sanft wie ein Schwof. Jedoch immer im gleichen Takt.

Der erste Kuss kann die Physik durcheinander bringen: Ist er perfekt, verliert sich Zeit und Raum. Die Erde dreht sich nicht mehr, nur alles im Kopf, beim Aufeinandertreffen der Lippen. Wenn der Austausch der Geheimnisse beginnt. Tausende von Nerven verzückt Botenstoffe aussenden. Dieser Kuss zeigt der Biologie, wer im Spiel der Hormone den Hut auf hat. Was er anrichten kann – wenn sie den Kopf leerfegen und sich zur Demo unterhalb des Zwerchfells treffen. Wenn beim Berühren der Lippen ein Hormon-Cocktail produziert wird, der berauschender ist als Alkohol oder Schuhe kaufen.

Der perfekte Kuss ist ein bisschen wie die Ballannahme beim Fußball. Ab Sekunde eins ist klar: Der spielt nicht in der Kreisliga, das hier ist Champions League. Die Zunge als Ball, auf der Suche nach dem Mitspieler, im perfekten Doppelpass. Der erste Kuss kann mehr sein als ein Tor. Er ist Sieg und gefühlte Meisterschaft. Einmalig. Und leider nicht wiederholbar.

Wild, gierig und umgekehrt

Deshalb ist er für mich das Kostbarste zwischen zwei Menschen. Unabhängig davon, was sich aus dem Kuss ergibt. Das muss nicht Liebe sein. Aber um perfekt zu sein, muss er etwas Überraschendes haben. Verspielt sein, wenn ich es wild oder gar gierig erwartet habe. Und umgekehrt. Er sollte mich die Welt vergessen lassen. Mich in eine andere Umlaufbahn bringen. Ohne, dass ich davon etwas merke.

Ich möchte auch nicht wissen, dass in meinem Lippen rund 10.000 Nervenenden stecken. Ich möchte nur, dass sie alle Lambarda tanzen, wenn andere Lippen meine berühren. Ein Lippenbekenntnis ohne Worte. Mit viel Gefühl. Ein Rausch. Und die Gewissheit, dass der perfekte Kuss immer in Erinnerung bleibt. Wie eine Narbe, über die man streicht. Die für immer bleibt und eine ganz eigene Geschichte hat.

Appreciate the moment of a first kiss. It may be the last time you own your heart.r. m. drake

Mein erster kuss

Wer im Internat – in meinem Fall das Niedersächsische Internatsgymnasium im Bederkesa – etwas auf sich hielt, der saß im Fernsehzimmer immer auf der unbequemen Pritsche. Die war ungepolstert, aber dort lümmelten sich die Coolsten der Coolen. Ein Sitz auf der Pritsche war der direkte Weg zum Olymp der Unnahbaren. Genau auf dieser Pritsche dort bekam ich meinen ersten Zungenkuss.

Vorbereitung ist das halbe Leben. Ich war kusstechnisch so jungfräulich wie meine Freundin und Zimmergenossin Alex, die alle Sandy nannten. Ich weiß nicht mehr warum. Wir beide waren in der sechsten Klasse. Also eigentlich kurz vor dem Eintreten ins Erwachsenenleben. Uns beiden war klar, dass die große Stunde bevorstand. Der Moment, in dem wir dem Status Teenie „Lebe wohl” sagen und zur Frau werden würden. Zumindest haben wir uns das so vorgestellt. Blöd nur: Keiner von uns beiden konnte mit irgendwelchen Erfahrungen aufwarten. Wir waren im wahrsten Sinne des Wortes unbeleckt. Also mussten wir üben, üben, üben. Nur wie?

Als erstes musste die eigene Handfläche herhalten. Super praktisch, beantwortete allerdings nicht die wichtigsten Fragen. Woher weiß ich, ob mein Kopf nach links oder rechts muss? Wie verhindere ich, dass wir mit den Nasen aneinanderknallen? Wann macht man den Mund auf? Und was macht die Zunge überhaupt?

Ab ins Bootcamp

Vor lauter albernen Rumgekicher kamen wir mit dem Kusstraining ohnehin nicht so weit. Aber als Sandy einen Lover am Start hatte und ich auch, da ging es ins Bootcamp – mit zwei Teilnehmern. Uns. Es stellte sich raus, dass wir beide uns auf Anhieb sehr gut verstanden. Wir dupsten nicht mit den Nasen aneinander und immer, wenn unsere Zungen fast berührten, brachen wir das Experiment ab. Prepared. Das große Abenteuer konnte beginnen. Aber es ließ auf sich warten. Sandy verzweifelte an ihrem Lover, der es irgendwie nicht auf die Kette bekam, sie zu küssen. Völlig undenkbar, dass sie den ersten Schritt unternahm. Jeden Abend klagte sie mir ihr Leid. Und ich ihr meins.

Michael W. war älter als ich. Mein erster Freund. Also mit „Willst du mit mir gehen?” und so. Aber außer Händchen halten und Küsschen auf die Wange war absolut tote Hose. Was für Knaller hatten wir uns da nur ausgesucht? Während wir uns einig waren, dass wir unseren Status „Ungeküsst” schleunigst verändern mussten, war uns auch klar, dass wir keinen blassen Schimmer hatten, wie das gehen soll.

An einem Donnerstagabend war wieder irgend so ein Film angesagt. Treffen im Fernsehzimmer. Auf der Pritsche war natürlich kein Platz mehr, aber Michael rückte ein Stück zur Seite, ich quetschte mich neben ihn. Händchen halten. Verliebt schauen. Kichern. Doch das wurde schnell langweilig. Ich wollte gehen, er wollte einen Kuss und eh ich mich versah, war seine Zunge in meinem Mund. Meine – glaube ich – in seinem.

Wie ein Banküberfall

Das Ganze hatte ein bisschen was von einem Banküberfall. Seine Zunge pflückte über meine Zähne, touchierte das Zäpfchen, rauschte zurück über den Gaumen. Da realisierte ich, was gerade passiert. Davon ab, hätte seine Zunge nicht irgendwas mit meiner machen müssen? Meine Zunge zog sich beleidigt zurück. Kuss vorbei und Peinlichkeit an. Auch wenn das Ganze bestimmt nur wenige Sekunden gedauert hat, so fühlte es sich an wie ein Ewigkeit.

Und es blieb nicht unbeobachtet. Von rechts und links starrten uns die anderen an. Pure Peinlichkeit. Mehr geht nicht. Ich verschwand im Stechschritt ins Zimmer, wo ich Sandy heulend antraf. Ihr Date hatte mal wieder nichts ergeben, erzählte sie mir unter Tränen. Ich erzählte ihr von meinem ersten Kuss. Wir waren uns einig. Die Sache mit dem Erwachsenwerden hatte noch ein bisschen Zeit. Ungefähr zwei Wochen. Dann kam Lars H. und ein Kuss, der mich glatt von den Beinen zog. Herrlich.

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Lili

Über Lili Maffiotte

Lili lacht. Lili weint. Lili hat immer Lust aufs Leben. Das ist allerdings ohne Schuhe völlig sinnlos. Deshalb ist sie ganz verrückt nach ihnen. Aber auch nach Büchern, Klamotten, Musik, Sport und Sonne.

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