Foto: Adobe Stock

Ausgebremst: Wenn dein Ehrgeiz dir im Weg steht

Im Märchen heißt es: „Wenn du ihn auf ein Tuch stellst und sprichst ‚Bricklebrit!’ so speit dir das gute Tier Goldstücke aus.” Zugegeben, mit diesem wunderlichen Ausspruch hat es tatsächlich noch niemand bei mir versucht und das, obwohl „Tischlein deck dich“ die Grundlage für das sprichwörtliche Bild des Esels bildet, welcher auf Geheiß Goldstücke von sich gibt. Ich selbst war der Goldesel, wollte immer der Goldesel sein. Zumindest, bis mich mein eigener Ehrgeiz ausgebremst hat.

Bereits früh in meinem Leben gab es Momente, in denen ich hätte erahnen können, was mir später in voller Tragweite schmerzlich bewusst geworden ist: Es geht nicht immer nur aufwärts. Und Auspowern macht nicht glücklich. Meine zwanghaften Gedankengänge zeigten sich zuerst beim Sport. Danach zogen sie sich mehr und mehr über mein gesamtes Handeln, wie ein maßgeschneiderter Anzug. Übermäßiger Ehrgeiz, unersättlicher Durst nach Erfolg und der Wunsch, die Zukunft exakt nach meinen Vorstellungen gestalten zu können. All das hat mir die Richtung vorgegeben. Abweichungen verboten!

Am Anfang war die Leichtigkeit

Meine sportlichen Ansprüche zu erfüllen, fiel mir Anfangs leicht. Durch Ehrgeiz und Fleiß konnte ich mich Schritt für Schritt immer weiter verbessern und durfte so in jungen Jahren einige großartige sportliche Höhepunkte erleben. Dabei lernte ich sehr schnell, dass es kein Märchen ist, wenn es heißt: „Erfolg macht süchtig.“

Ich war ein Sklave meiner inneren Doktrin geworden.

Mit diesen guten Erfahrungen im Gepäck schien mir auch am Beginn meiner beruflichen Laufbahn durch harte Arbeit alles in den Schoß zu fallen. Ich hatte einen Lauf, wie man so schön sagt. Ich übertraf die Erwartungen. Es war ein berauschendes Gefühl. Eines, an das ich mich nur allzu gerne gewöhnte. Ich war auf dem richtigen Weg, wie ich dachte. Also steckte ich meine Ziele noch ein bisschen höher. Sagte mir: „Yes, you can! Do your very best! Just do it!”

Besuch von Mike Tyson

In voller Fahrt traf mich als nächstes etwas Unvorhersehbares, ein Schicksalsschlag. Ein harter. Vollkommen aus dem Nichts. Wie eine Rechte von Mike Tyson. Zack! Pow! Da lag ich nun – bildlich gesprochen – und wurde angezählt. Um wieder in die Bahn zu finden, fokussierte ich mich auf die Methodiken, die mir meine süßen Erfolge beschert hatten: Ich fing an, meine Ansprüche stärker auszudehnen. Ich begann, alles kontrollieren zu wollen. Vermutlich ein Schutzreflex.

In der Folge verdiente ich mir den Ruf ein „Jack of all trades“ zu sein. Ein Jemand, der alles Erdenkliche gut kann. Ein Jemand, zu dem man kommen konnte und der es schon irgendwie regelte, hinbekam oder möglich machte. Kurz: Der Goldesel, der auf Kommando „ablieferte“.

Mr. 200 Prozent. Immer und Überall.

Allerdings veränderte sich dadurch auch Stück für Stück meine Persönlichkeit: Es reichte mir nicht mehr, bei allem mein Bestes zu versuchen. Nein, mit der Zeit wurde es zwanghaft: Immer und überall abliefern. Egal bei was. So mein Mantra. In allem, was ich tat, musste ich gut sein, besser noch: Der Beste! Mercedes-Benz bezeichnet dieses Mantra in schönstem Marketing-Deutsch auch als „Das Beste oder nichts“. Ich war mittlerweile vollkommen eingenommen von dem, was sich in meinem Inneren abspielte.

Dies äußerte sich auch darin, dass ich die Freude am Hier und Jetzt verlor. Mein einzig wahres Interesse: Ob alles nach Plan lief und ob die Zukunft so sein würde, wie von mir ausgemalt. Genau wie in George Orwells‘ Roman „1984“ schaute mir in jeder Sekunde jemand über die Schulter und urteilte über alles, was ich tat. Nur dass mein zwanghaftes Verhalten hier dieser „Jemand“ war. Totale Überwachung. Immer gepaart mit der unterschwelligen Angst, meinen Ansprüchen nicht gerecht zu werden. Aus spielender Leichtigkeit war bleierne Schwere geworden.

SonnyBoy… not!

Nach außen hin versuchte ich weiter den lockeren und entspannten Typen zu geben, für den ich mich selbst gerne halte. Leider war das wegen meiner dauerhaften inneren Anspannung meilenweit in die Ferne gerückt. Ich fing an, viele Dinge gar nicht mehr anzugehen. Ich wusste ja aus Erfahrung, welch gewaltigen innerlichen Kraftaufwand die stetige Erfüllung meiner Maßstäbe erforderte.

Was folgte war jedoch nicht die erhoffte Erleichterung. Denn nun mischte sich zu allem Überfluss auch noch das schlechte Gewissen dazu, aus welchem wiederum eine tiefgehende Unzufriedenheit erwuchs. Ich befand mich nun in einem Teufelskreis. Innerlich isoliert. Aus bleierner Schwere war ein Zustand innerer Lähmung geworden. Der Goldesel kränkelte also endgültig. Die Persönlichkeit inzwischen alles andere als märchenhaft. Ich war ein Sklave meiner persönlichen Doktrin geworden.

Die Definition des Wahnsinns ist, immer dasselbe zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten.Albert Einstein

Fast forward

Einige Sinnkrisen später, geht es mir heute besser. Ich bin wieder im Reinen mit mir selbst. Ich nehme mich selbst nicht mehr so ernst und bin happy. Mit mir selbst und mit meinem Leben. Zu meiner früheren „Alles oder Nichts“-Mentalität darf sich heute durchaus mal ein „halb“ gesellen. Klar, es gibt Tage, da schlägt mein „altes Ich“ wieder voll durch. Allerdings bestimmt es weniger und weniger mein Dasein. Auch meine Luna spielt dabei eine nicht zu verleugnende Rolle. Hunde haben einfach eine solche Wirkung. Mein kleiner Rettungsanker. Dabei hat eine sehr weise Person bereits vor vielen Jahren gesagt, dass ich ein „Hundemensch“ bin. Hätte ich bloß früher „gehört“.

Was ist, wenn die Charakterzüge, die dafür sorgen. dass ich innerlich untergehe auch jene sind, die dafür sorgen, dass ich mein Leben, oberflächlich gesehen, erfolgreich gestalte?

Angesichts durchschnittlicher Intelligenz und ebenso mittelmäßiger Begabungen, war dies für mich die Frage, die zu beantworten mir am schwersten gefallen ist. Das Rätsel, mit dem ich am längsten gehadert habe. Auf welches ich letztlich keine Antwort parat hatte. Nur einer einzigen Erkenntnis war ich mir sicher: All mein zwanghaftes Verhalten und mein ganzer Kontrollwahn hatten mich keinen Deut glücklicher gemacht. Ganz im Gegenteil!

Nicht wissend, was es für mich bedeuten würde, ließ ich meine Zwänge los und wagte den Sprung ins „kalte Wasser“. Ein erfrischender, befreiender und lohnender Sprung, wie ich feststellen sollte. Um eine tonnenschwere Last befreit, konnte ich plötzlich wieder befreit aufatmen. Ich fühlte mich wieder „leicht“.

Silber? Silber!

Und die Moral von der Geschicht? Der Goldesel darf heute auch mal nur ein Silberesel sein. Die Freude und das ehrliche Lächeln sind zurück. Dass ich mich mit diesen Worten an etwas wage, was ich vorher noch nie gemacht habe, ist für mich Zeugnis meiner Veränderung. Die Wahrnehmung um mich herum kann ich ab Veröffentlichung schließlich nicht länger kontrollieren. In dem Sinne: Ende gut, alles gut!

You might also like...

Daniel

Über Daniel Gefers

Er ist beinahe zwei Meter groß und hat ein mindestens genauso großes Herz: Daniel, unser Multitalent mit den niederländischen Wurzeln, ist jeden Tag aufs Neue von seiner Hündin Luna verzückt, gibt gerne den Grillmeister und weiß sich zu kleiden.

2 Comments

  1. Brigitte Ehlers

    Ich finde es sehr mutig, sich der Öffentlichkeit gegenüber so über den eigenen Zwang zur Perfektion zu äußern und sie auch als Schwäche zu erkennen, denn meistens ist es ja nur das Streben nach Perfektion, was die Gesellschaft sehen will. Schwäche manchmal auch als Stärke zu sehen, sie auch so anzunehmen oder zu lernen sie zuzulassen ist bestimmt nicht so einfach. und deshalb meine Anerkennung. Ein toller Artikel junger Mann! Und Grüße an Luna, die ihren Teil dazu beiträgt.

    1. Daniel

      Ganz herzlichen Dank für die lieben Worte! Es war ein gutes bisschen Weg dorthin. 😉 Auch Luna sagt ein fröhliches „Wuff“ zurück!

Schreibe einen Kommentar