Foto: Martin

Lieblingsort: Grimmershörn

Früher hatte ich einen Kater. Der war fett und faul, aber schlau. Wenn er durch eine verschlossene Tür wollte, klopfte er mit seinen Krallen vorsichtig an. Eines Tages war er weg und kam nie mehr zurück. Als ich vor ein paar Tagen auf dem Deich am Grimmershörn stand, dachte ich an meinen fetten und faulen, aber schlauen Kater. Keine Ahnung, warum mich der Frachter an ihn erinnerte.

Der Frachter tuckerte lahm auf der Fahrrinne. Auf dem weißen Lack stand in in schwarzen Druckbuchstaben Spirit. Mein Kater hieß anders, aber aus Gründen des Respekts und der Ehre werde ich seinen Namen hier nicht nennen. Als er noch klein und schlank war, warf ich ihn einmal zu meiner Mutter in die Badewanne. Die kam gerade von einer 12-Stundenschicht und fand das nicht so cool. Konnte ja keiner ahnen, dass der vollkommen austickt und wild mit seinen Krallen um sich boxt. Gar nicht cool. Fand keiner cool. Auch ich hatte mir das anders vorgestellt. Oder vielleicht nicht?

Der Frachter fuhr so lahm, dass ich jegliche Vorstellung von Distanz und Meer und Zeit verlor. Nur damit sich ein Kerl am anderen Ende der Welt eine Rasiercreme ins Gesicht klatschen kann, die es bei ihm nicht gibt. Eigentlich bekloppt. Und so lahm. Da konnte selbst dein fetter Kater schneller rennen, wenn er dann mal rannte, dachte ich, nachdem ich dem Frachter zehn Minuten dabei zugesehen hatte, wie er sich nicht bewegte. Kaum, kaum bewegte. Was wohl von Spirit übrig bleibt, wenn Spirit einen Eisberg rammt? Oder von einer Monsterwelle umgeworfen wird wie ein Faltboot? Spirit.

Groupies ticken heute anders

„That’s the spirit“ hatte Mouse in Australien immer gesagt. Hieß so viel wie: „Ja Mann, so wird’s gemacht, darum geht’s, das hat Herz, that’s the spirit.“ In Deutschland sagen wir sowas nicht. Wir artikulieren vernunftgemäß. Wir sind Denker. Und Dichter. Aber Dichter sind nicht mehr cool. Deshalb denken wir jetzt doppelt so viel wie früher, als ein Goethe noch der Rockstar unter den Dichtern war. Denkt man gar nicht, dachte ich, aber der hat in einem Frühling sicher mehr Groupies den Kopf verdreht, als Bushido in seinem ganzen Leben. Wobei. Groupies ticken heute ja auch anders. Allein weil die denken, dass ein Bushido nur das eine will, wollen die auch nur das eine. Und im Gegensatz zu früher können die heute mit 18 alles machen, was die wollen. Oder vielleicht mit 16?

Und dann war Spirit auf einmal verschwunden. Pamm. Einfach so, wie mein Kater. Da war ich nun allein am Grimmershörn. Die Sonne schien grell, der Himmel war blau und wolkenlos. der Rasen saftig und grün. Kabbelwasser kabbelte in der Bucht. Und dann dieser Dunst in der Ferne, diese graublaue, beinahe weiße, undefinierbare Linie, dieser Balken, dieser neblige Gürtel, der den Horizont festhält. Jedes Mal. Immer einzigartig. Grimmershörn. Ich sagte es laut, einmal, zweimal, dreimal, Grimmershörn. Dann rückwärts. Nröhsremmirg. Es wurde immer bizarrer. Jetzt sah ich schon den nächsten Frachter. Wäre ich ein Grönlandhai und würde 500 Jahre alt werden, dachte ich, würde der Frachter mit wahnsinnigem Speed hier vorbeizischen. Bist du aber nicht, sagte ich mir. Für dich ist er einfach lahm. Dann drehte ich mich um und fuhr an die Arbeit.