Foto: Talitha

Deichbrand 2019: Mein Festival der Gegensätze

Ich weiß nicht, ob ihr es auf Instagram und Facebook schon bemerkt habt, aber dieses Wochenende stand das Deichbrand an. Es ist das größte Mainstreamfestival Norddeutschlands mit ca. 60 000 Besuchern. Ich war da um Fotos von den Menschen auf der Bühne (unter anderem Marsimoto, Cro, Alligatoah, Thirty Seconds to Mars und die Biffy Clyro) und von den Menschen neben der Bühne zu machen. Dabei sind mir einige Gegensätze aufgefallen.

Laut VS. leise

Ein Festival ist laut, durcheinander, quirlig. Es wird viel gelaufen, gefeiert, getrunken und getanzt. Schon bei der Anreisen erwartet man innerhalb der nächsten Tage eine totale Reizüberflutung – eine bunten Menschenmasse, wilde Bühnenshows und ständig wechselnder Musik. Die Musik auf den Camps lädt auch eher zum weiterfeiern als zum ausruhen ein.

Was jedoch erst bei genauerem Hinsehen auffällt sind die leisen Töne. Die subtilen Zärtlichkeiten, die Pärchen untereinander austauschen und gemeinsam die Zeit genießen. Dabei meine ich nicht einmal wilde Küsse, sondern nur ein Anlehnen, einen Blick oder einen Eskimokuss. Schaut euch nächstes Mal gerne genauer um. Man findet an jeder Ecke ein wenig Liebe.


Jung VS. jung geblieben

Zum ersten Mal ist mir aufgefallen von wie vielen Generationen das Deichbrand besucht wird. Es gibt keinerlei Altersgrenze nach unten oder nach oben. Gerade als Fettes Brot spielte, tanzten die Kinder  gemeinsam mit den älteren Generationen. Der einzige Unterschied? Die Kinder trugen einen Gehörschutz.

Miteinander VS. Gegeneinander

Meine Kamera fiel mir nach dem ersten Tag herunter und war kaputt. Eigentlich super ärgerlich, ein riesen finanzieller Schaden und ein unnötiger Unfall. Aber so durfte ich das Miteinander und das untereinander Helfen erleben. Eine weitere Fotografin lieh mir an einem Abend kurzerhand ihre Kamera aus.

Doch als mich die Security mit der ausgeliehenen Kamera wieder ind en Gramen lassen wollte, wurde ich von den Deichbrand Medienleuten wieder verscheucht. Nur dürften jetzt Fotos machen, sagten sie. Von freundlichem Miteinander war in dem Moment plötzlich nichts mehr zu spüren.

Dafür habe ich viele andere schöne Szenen beobachten: Einige Fotografen teilten sich zum Beispiel den Grabenpass, damit jeder ein paar Fotos von den Artist schießen konnte. Es wurde gegenseitig auf das Equipment aufgepasst und niemand stellte sich in das Schussfeld der Anderen. Es war ein fantastisches Miteinander unter den Pressefotografen und nicht einmal im Ansatz ein Konkurrenzkampf um das beste Foto.


Nachhaltigkeit VS. Konsum

Die Nachhaltigkeit und der verzweifelte Versuch die Global Goals noch zu erreichen, steht aktuell im Fokus der jungen Bevölkerung. Friday for Future gibt es nicht ohne Grund.  Gerade deshalb hätte ich von der jüngeren Generation in diesem Jahr mehr Nachhaltigkeit auf dem Festival erwartet. Stattdessen sammelte sich wieder der Müll auf den Camps. Aufgebaute Wohnlandschaften wurden einfach zurück gelassen.

Natürlich kann man in so Ausnahmesituationen, wie einem Festival ein Auge zudrücken, aber auch hier könnte der Plastikkonsum noch einmal deutlich reduziert werden. Auch ist der neu angelegte XXL-Pool sicher eine gute Idee als Erfrischung der Besucher und gerade nach der Hitzewelle im letzen Jahr eine gute Weiterentwicklung.

Aber man sollte sich die Frage stellen, wie sinnvoll die Chlorung von 1,2 Millionen Liter Wasser ist.. Gerade bei einer mittleren Waldbrandgefahr bei uns im Norden und der Grundwasserabsenkung in ganz Deutschland, bis hin zur Aufforderung an die Bevölkerung sensibel mit dem Trinkwasser im Raum Brandenburg und Minden umzugehen.

Zerbrochene Glasflaschen vor dem Gelände erhöhen übrigens die Brandgefahr ebenso, wie noch glimmende Zigarettenstummel. Davon habe ich gleich 3 auf dem Weg zwischen Parkplatz und Festivalgelände ausgetreten. Zwar steht das Deichbrand nicht für Nachhaltigkeit, jedoch würde ich mich freuen, wenn wenigstens ein bisschen auf einen respektvolleren Umgang mit unserer Natur geachtet wird.

Erleben VS. Konservieren

Bereits 1977 schrieb Susan Sontag in ihrem Essay „über Fotografie“, dass Fotos mittlerweile ein Massenprodukt seien und uns den imaginären Besitz der Vergangenheit suggerieren wollen. Auch schrieb sie, dass wir in einer sich schnell wandelnden Welt leben, unsere Gesellschaft immer eine Aufgabe braucht und sie diese in der Fotografie sucht.  Auch ist sie der Meinung, dass wir aus Angst etwas zu verpassen, alles irgendwie konservieren wollen.

Genau das fiehl mir auf dem Deichbrand besonders auf. Anstatt die Musik zu genießen und sich hinterher das After Movie anzuschauen wurde permanent der Fokus auf das eigene Bildmaterial gelegt. So hingen viele Festivalbesucher am Handy und zeichneten Ausschnitte des Auftrittes auf, anstatt die Elektronik im Zelt zu lassen und sich komplett auf Show und Musik einlassen zu können.

Arbeiten VS. Mitfeiern

Ohne die vielen helfenden Hände würde das Deichbrand gar nicht stattfinden können. Seien es nun die Stagehands, Sanitäter, Feuerwehrkräfte, Security, Catering (ganz wichtig!) oder die Polizei. Jeder trägt seinen Teil dazu bei. Doch ist euch mal etwas aufgefallen? Ich empfand es als super witzig die Security im Graben oder die Sanitäter an der Seite der Bühne mittanzen und mitwippen zu sehen. So hat jeder seinen Spaß und überall herrscht gute Laune.

Überwachung VS. Sicherheit

Gerade schrieb ich noch von tanzender Security. Kann man diese dann überhaupt noch erst nehmen und arbeiten sie überhaupt? Ja, kann man! Ich habe selbst erlebt, wie sie innerhalb von Sekunden zwischen Tanzen und mitfeiern, in ihren Arbeitsmodus schalten können und mal eben locker flockig einen ausgewachsenen Menschen über die Wellenbrecher ziehen. Der Spaß hört da auf, wo es gefährlich für einen selber und/oder für andere wird. Wie ich die massive Polizeipräsenz inkl. Kameras dieses Jahr im Infield einschätzen soll, weiß ich selber noch nicht.

Meine Tendenz geht jedoch eher in die Richtung, dass ich mich sicher fühle, wobei ich es anfangs sehr beängstigend und gruselig fand dieses Jahr so viele Einsatzkräfte zu sehen. Lieber einmal etwas zu viel Präsenz, als zu wenig mit einem anschließenden Unfall. Auch das jedes Auto beim Verlassen des Festivals von der Polizei einmal grob angeschaut und im Anschluss gegebenenfalls heraus gewunken wurde, fand ich im ersten Moment etwas zu übertrieben. Dann war ich jedoch froh, dass Menschen, die alkoholisiert oder unter Drogenkonsum ein Fahrzeug bewegen wollten, direkt wieder heraus gezogen wurden.

Alles in allem war das Festival grandios, mit einer phänomenalen Stimmung. Der Vorverkauf für das nächste Jahr startet heute um 17 Uhr.
Vielleicht sehen wir uns 2020 dort?