Foto: Dörthe Schmidt

Marnie Knorr: Von Visionen, Chancen und Meergestrüpp

Fass mir nicht ins Feuchtgebiet!? Ich war von Anfang an neugierig, was hinter der Gruppe Meergestrüpp steckt. Heute weiß ich es, unter anderem Marnie Knorr, sie will die Bebauung in der Neuen Aue verhindern und Grünflächen erhalten. Die 32-Jährige ist in Bremerhaven aufgewachsen, war aber schon in der Welt unterwegs. Ich spreche mit ihr über Visionen für ihre Heimatstadt, ihren eigenen Weg und natürlich über die Grüne Aue.

Wir treffen uns in ihrem Schrebergarten. Obwohl wir uns bis zuletzt nicht sicher waren, ob es vielleicht doch regnet, ist das Wetter perfekt. Zwischen Bäumen und zwitschernden Vögeln kann ich gut verstehen, warum Marnies Herz an diesem Ort hängt.

Am 13. April laden Meergestrüpp zu einem Festival in den Laubenpieper ein. Die Initiative hat die Stadt Bremerhaven verklagt. Falls sie verlieren, brauchen sie Geld. Mehr Infos dazu findest du hier.

Marnie, lebst du schon immer in Bremerhaven?

Nein (lacht). Ich bin hier aufgewachsen, aber ich bin schon in der Schule für einen Austausch in die USA und nach dem Abi bin ich auch sofort weg nach Südafrika. Für meinen Bachelor bin ich dann wieder hergekommen. Ehrlich gesagt, weil ich nirgendwo sonst genommen wurde. Ich habe Kreuzfahrttourismus studiert.

Wie bist du darauf gekommen?

Ich habe mich immer schon für Tourismus interessiert. Ich mag Gastfreundschaft total und Leute rumzuführen. Deshalb bin ich auch bei Couchsurfing. Und in Südafrika hatte ich auch in einem Naturreservat gejobbt. Aber im Kreuzfahrttourismus will ich lieber nicht mehr arbeiten.

Warum?

Das ist so eine riesige Verschwendung. Da sind 3000 Leute auf einem Schiff. Und die Hygienevorschriften geben vor, dass das Essen vom Buffet jeden Tag weg muss. Die zerkleinern das und schmeißen es dann oft in den Ozean. Und das machen die, während sie vor Honduras ankern – und die Leute da haben echt nichts. Außerdem fallen die Touristen wie ein Schwarm in die Dörfer ein, das sind oft mehr Touristen als Einwohner. Die Hafenstädte profitieren davon nicht mal viel. Ich hab für den Bachelor ein halbes Jahr Praktikum auf verschiedenen Schiffen gemacht.

Wie ging es nach deinem Bachelor weiter?

Ich habe Innovationsmanagement in Valencia in Spanien studiert. Wir hatten viele Referenten aus dem echten Leben. Das war hammer. Da habe ich dann auch mein Praktikum in einem Gen-Forschungslabor gemacht und dort meine Masterarbeit geschrieben. 

Ich hab mich immer schon mit Ideen und so was befasst und war schon immer ein Träumer.

Was war dein Ziel, als du diesen Master gewählt hast?

Ich hab mich immer schon mit Ideen und so was befasst und war schon immer ein Träumer. Und damals gab’s dann plötzlich diese Crowdsourcing-Plattform, wo du überall Ideen eingeben kannst. Das Phänomen hab ich dann auch erforscht. Ich hab als Kind schon immer davon geträumt, in einer Ideenfabrik zu arbeiten. Ich hatte auch eine Idee für eine App. Die habe ich in Spanien in einem „Inkubator“ angefangen zu entwickeln. Denen habe ich praktisch mit anderen Sachen geholfen und dafür haben die mir die App angefangen zu basteln, aber die Firma ist pleite gegangen. Das war eine krasse Zeit in Spanien wegen der Wirtschaftskrise.

Warum bist du zurück nach Bremerhaven gegangen?

Auf der einen Seite hätte ich in Spanien viele blöde Jobs machen müssen. Und ich hatte auch einfach ein Bauchgefühl, dass ich zurück nach Bremerhaven muss – das war im Herbst 2011. Durch meine Arbeit in diesem Inkubator war ich in das Thema Start-ups gut reingewachsen. Zurück in Deutschland hab ich mich dann für solche Start-up-Events angemeldet mit meiner Idee. Und hab mich viel in dieser Szene herumgetrieben. Weil ich das cool fand, hab ich so ein Start-up-Weekend hier in Bremerhaven angeleiert. Da gab es auch einige gute Ideen.

Foto: Dörthe Schmidt

 

Wie bist du zu Meergestrüpp gekommen?

Ich war Stadtteilsprecherin in Lehe. Und es gab einen Zeitungsartikel „Zitterpartie für Kleingärtner“ von Susanne Schwan, darauf haben mich viele Leute angesprochen. Und daraufhin haben wir Anfang 2016 bei der Stadt nachgefragt. Immer hieß es, das wären alles nur Ideen. Auch als ich mal Dokumente zugeschickt bekommen habe, die zeigten, dass zwei riesige Gebiete hier bebaut werden sollten, hat Melf Grantz noch von Ideen gesprochen. Dann sollten die aber direkt an den Bauausschuss weitergegeben werden. Die hätten zwei Monate später darüber abgestimmt, ob das Gebiet jetzt bebaut werden darf oder nicht. So ist das alles hochgekocht.

Es geht ja auch darum, dass das unsere Zukunft ist, die hier gerade verbaut wird.

Damals hatten wir zu einem Konzertabend eingeladen, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Und da waren wir alle in Proteststimmung. Vier Musiker haben Lieder geschrieben für die Idee. Es gab einen mega Zuspruch von den ganzen Leuten, vor allem jungen Leuten. Es geht ja auch darum, dass das unsere Zukunft ist, die hier gerade verbaut wird. „Fass mir nicht ins Feuchtgebiet“ war damals unser Schlagruf. Überall ziehen sie hier Häuser hoch, dabei haben wir so viel Leerstand. Und die Leute ziehen alle weg, weil sie hier keine Jobs finden. Das macht keinen Sinn. Und Kleingartengebiete sind ja total im Kommen in anderen Städten. Es hätte hier auch einfach was gebracht, wenn sie Werbung hierfür gemacht hatten. Wenn das hier verbaut wird, muss alles weg, was hier steht – jeder Baum und jeder Stein – das wäre total schade.

Warum, meinst du, soll das Naturgebiet bleiben?

Das ist viel biodiverser als zum Beispiel der Stadtpark oder so. Hier lebt ein Eisvogel, ein mega seltenes schwarzes Reh, Igel, Fledermäuse und ich sehe hier ganz andere Zukunftsmöglichkeiten für nachhaltige Entwicklung. Es gibt zum Beispiel diesen Trend der Tinyhouses, dass die Leute eher klein wohnen aber dafür im Grünen. Bremerhaven will so innovativ sein und dann macht man sich damit solche Chancen kaputt. Man muss an die Trends denken, die jetzt kommen.

Was ist deine Vision für Bremerhaven?

Nachhaltiger. Die Autos mehr aus der Stadt raus nehmen. Einfach den Trends mehr folgen, die es überall gibt. Am besten wär auch noch kostenloser öffentlicher Verkehr. Und dass man solche grünen Strukturen erhält. Dass man vielleicht eher mal eine Ruine abreißt und da baut, statt auf einer grünen Fläche.

Hast du Ideen, was Bremerhaven machen kann gegen die Abwanderung der jungen Leute? Oder wie man sie zurückholen kann?

Ich wär eher für Zurückholen. Ich bin ein Fan davon, sich die Welt anzuschauen, weil das den Blickwinkel total öffnet. Und es kommen ja auch viele Studenten von außerhalb, die hier studieren. Ich hab unglaublich viele Freunde, die mit einem blutenden Herz gegangen sind, weil sie einfach keinen Job gefunden haben. Die ganze Clique, die hier nebenan die Gärten hatte, die mussten alle weg. Das waren ausgebildete Ingenieure – find da mal was in Bremerhaven. Um hier zu bleiben musst du halt gucken, dass du dir selbst irgendwas aufbaust. Deshalb auch die Start-up-Weekends. Gerade für Internetfirmen ist das einfach. Aber das muss man auch fördern, wie zum Beispiel mit dem Coworking, das jetzt im Goethe-Camp kommt. Um Leute hier zu halten, muss man zeigen, dass man sich hier gut verwirklichen kann.

Wo kommt die Energie aus eurer Meergestrüpp-Gruppe her? Ihr gebt Konzerte, macht Videos und bespielt eure sozialen Netzwerke regelmäßig… Fast wie eine Kampagne und ganz kreativ.

Wir sind ungefähr 10 Leute, aber das wechselt auch. Durch meine ganzen Start-up-Geschichten kenne ich mich mit Social Media aus und habe das auch eingesetzt. Und durch meinen Job als Stadtteilsprecherin hatte ich auch Erfahrung. Und der Druck kommt eigentlich, weil man sich ungerecht behandelt fühlt. 

Musik fürs Auenland

Hier findest du zwei Lieder, die extra für die Grüne Aue geschrieben wurden.

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