Foto: Janina Kück, Montage: Daniel Gefers

Handgemacht: Wie es ist, seinen eigenen Laden aufzuziehen

Kathrin hat Kunstwissenschaft und Germanistik studiert. Sogar promovieren wollte sie. Warum trotzdem alles anders kam und sie jetzt ihren eigenen Laden im Bremer Viertel hat.

H ey Kathrin, wie geht es dir und dem Baby? Ist alles gut gelaufen? Wenn Kathrin Vorsmann auf den Straßen im Bremer Viertel unterwegs ist, kommt sie aus den vielen Gesprächen mit bekannten Gesichtern anscheinend gar nicht mehr heraus. Man kennt sich unter den Shop-Besitzern im Ostertorsteinweg und man unterhält sich. Zwischen all den vielen kleinen Läden, den hübschen Restaurants und Cafés und zwischen den oftmals angesprühten Häusern. Die Bahn, die gefühlt jede zweite Minute vorbeifährt und es einem kaum möglich macht, ohne Weiteres die Straßenseite zu wechseln, tut ihr übriges, um die Geräuschkulisse in diesem wuseligen und lebendigem Stadtteil zu vervollständigen.

„Ja, mir geht es sehr gut”, antwortet Kathrin auf die Frage nach ihrer Gesundheit. Erst vor 7 Wochen ist die 32-Jährige Mutter eines kleinen Mädchens geworden. Greta. „Ich bin fasziniert”, erzählt sie ihrer Bekannten, ebenfalls Laden-Besitzerin, „wie intuitiv das alles mit einem Baby funktioniert. Vor der Geburt habe ich mir so viele Gedanken gemacht. Und nun läuft es einfach. Man macht automatisch vieles richtig finde ich.”

Hat den Sprung ins kalte Wasser gewagt: Shop-Inhaberin Kathrin Vorsmann. (Foto: Janina Kück)

Obwohl Greta gerade viel Körper-Nähe brauche, hat sich Kathrin dennoch die Zeit genommen, sich mit mir im Weincafé Engel zu treffen und bei Saftschorle und Cappuccino ein wenig über sich und ihre Karriere als Gründerin zu erzählen. „Das ist heute erst das zweite Mal, dass ich die Kleine alleine lasse”, sagt sie. „Aber wenn man selbstständig ist, ist das nun mal so. Die Arbeit ruft ständig. Ich habe auch sofort nach der Geburt wieder angefangen.” Auf der anderen Seite könne sie sich die Zeit als Selbstständige ja auch ganz gut einteilen. „Das ist ein Vorteil. Ich will die Momente mit Greta schließlich genießen.” Ihre Mitarbeiterinnen würden es ihr in diesem Punkt aber auch sehr leicht machen. „Wir sind ein gutes Team.”

Seit 6 Jahren hat Kathrin nun schon ihren eigenen Laden, die Glasbox. Sie verkauft vor allem Selbstgenähtes, aber auch schöne „alternative Geschenke”: Poster, Tassen, Stempel, Ketten, Anhänger, Ohrringe, Turnbeutel, Papierwaren und viel anderen „Tüdel”. Ihre Kunden würden sich immer freuen, mal etwas anderes zu finden, das sie verschenken können, so ihre Erfahrung.

Drei Prisen Glück schaden nicht

26 war Kathrin als sie mit dem Projekt „eigener Laden” angefangen hat. „Ich hatte drei Mal großes Glück, um dort hinzukommen, wo ich jetzt bin.” Los ging es mit einer Zwischenzeitnutzung, ein Projekt in Bremen, das Existenzgründern wie Kathrin die Möglichkeit gibt, leerstehende Häuser zu nutzen. Die Idee dahinter:

Zwischennutzungsformel:

Leerstand, Brache + Idee – geringe Miete = Instandhaltung der Immobilie + Berufschance + Belebung

„Die Nebenkosten sind fix”, erklärt Kathrin den finanziellen Rahmen der Zwischenzeitnutzung. „Der Rest wird individuell, also je nach Nutzer, angepasst.” Obwohl es ein großes Privileg gewesen sei, damals einen Platz in dem Projekt zu bekommen, hätte sie aber auch mit den Bedingungen leben müssen: „Mein erster Laden war am Hauptbahnhof, in der 85. Nebenstraße. Da gab es keine Laufkundschaft.” Alles nicht so einfach, vieles war anfangs improvisiert: Kathrin hatte kein Geld nach dem Studium, sie machte keinen Profit, die Einrichtung ihres Ladens war zusammengewürfelt, entweder vom Sperrmüll oder von Freunden. „Trotz alledem habe ich schnell gemerkt, wie viel Freude mir die Arbeit macht. Meine Leidenschaft ist immer größer geworden.” Ein Jahr später, nach dem geplanten Ende des Projekts, sei sie erneut an eine Zwischenzeitnutzung herangekommen. Der zweite Glücksfall für Kathrin.

Danach ins Bremer Viertel umzuziehen war wohl einfach ihr Schicksal, sagt Kathrin mit einem Lächeln auf dem Lippen. „Meine Miete im zweiten Laden sollte erhöht werden. Obwohl sich von den Bedingungen nichts geändert hatte. Wieder keine Laufkundschaft, wieder nicht genug Umsatz und so weiter und so fort. Ich habe einfach nicht das geerntet, was ich gesät habe. Mit meiner ganzen Energie und meiner ganzen Arbeit meine ich. Das war auf Dauer frustrierend.”

Dann kam die dritte Prise Glück. Schon wieder unverhofft: „Ich habe gegenüber von einem Makler-Büro gearbeitet. Der Makler kannte mich. Und obwohl er nicht unbedingt der Typ war, der große Komplimente macht, wusste er meine Arbeit und mein Können anscheinend zu schätzen. Tja, und so bin ich zu meinem jetzigen Geschäft gekommen.” Aus heutiger Sicht utopisch, findet Kathrin, die zu diesem Zeitpunkt immer noch nur 0 Euro in der Tasche hatte. „Ich habe vom ersten Tag an mit offenen Karten gespielt. Darauf haben sie sich eingelassen.”

Hauptsache Handgemacht: Das finden auch die Kunden

Die Angst vor der Eröffnung und dem ersten Arbeitstag im Viertel sei ziemlich groß gewesen, gibt die 32-Jährige zu. Große Konkurrenz, der finale Schritt in die Selbstständigkeit, Zukunftssorgen. „Zum Glück alles unbegründet. Die Menschen haben mich so herzlich hier empfangen und mich so nett hier begrüßt. Natürlich hat mir das geholfen. Ohne jetzt eingebildet klingen zu wollen, aber ich wusste, dass es laufen wird. Mal wieder mein Bauchgefühl.”

Das Geheimnis hinter ihrem Geschäftskonzept ist dabei eigentlich ganz simpel und plausibel: Hauptsache handgemacht. „Bevor Greta zur Welt gekommen ist, habe ich ja immer in der Glasbox gesessen und dort genäht. Die Kunden haben mit ihren eigenen Augen gesehen, wie die Sachen, die sie kaufen hergestellt werden. Sie haben auch gesehen, wie viel Liebe ich in meine Arbeit stecke. Ich denke mal, dass es diese Verbindung war, die es letztendlich gemacht hat. Sie macht es ja immer noch.”

Dass Kathrin gut bei ihren Kunden ankommt, kann ich mir gut vorstellen denke ich, während sie mir weiter von ihren ersten Monaten als Laden-Besitzerin berichtet. Sie kommt schlicht und ungezwungen daher, wenn man sie das erste Mal trifft: Die roten Haare locker nach oben gebunden, mehrere Tattoos, zum Beispiel eine Lotus-Blume auf dem linken Zeigefinger, ein Lippen-Piercing, ein großer Anhänger in Muschel-Form an einem Leder-Band, knallige Fingernägel dazu. Gefällt mir. Passt ins Viertel.

Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt

Gelernte Betriebswirtin oder Ähnliches ist Kathrin Vorsmann natürlich nicht. Eigentlich hat sie Kunstwissenschaft und Germanistik in Paderborn und Bremen studiert. Nach ihrem Magisterabschluss wollte sie ihre Doktorarbeit schreiben. Hatte sogar erste Schritte in diese Richtung unternommen. „Ich glaube ich hatte Bücher-Overload oder sowas”, scherzt sie, nachdem sie einen kräftigen Schluck von ihrer Schorle genommen hat. „Ich wollte vor der Promotion nur eine kurze Pause machen. Nicht dass ich Geisteswissenschaften verteufele, ganz und gar nicht – mir hat zu der Zeit allerdings etwas Praktisches gefehlt. Andere haben eine Weltreise gemacht,  was ich nebenbei gesagt, heutzutage schon fast dogmatisch finde, und ich wollte etwas mit meinen Händen machen. Etwas direktes, mit dem ich anderen vielleicht auch eine Freude machen kann.”

Den Traum vom eigenen Shop habe sie schon lange gehabt, sagt Kathrin. Ihn aber immer als „Hirngespenst” abgestempelt und in die hinterste Gedankenecke geschoben. „Nach der Uni war es dann Zeit.”

Ob sie denn immer noch sagen würde, dass diese Entscheidung die richtige für sie war, möchte ich im Anschluss von Kathrin wissen: „Ja das war es. Klar, mit sozialer Arbeit oder sowas hätte ich noch direkter etwas bewegen und Leuten helfen können. Das ist kein Vergleich. Menschen zu sehen, die sich über meine selbst genähten Sachen freuen, ist aber auch ein schönes und erfüllendes Gefühl für mich. Ich denke sie merken, wie viel Liebe ich in die einzelnen Teile gesteckt habe.”

Kathrin ist übrigens nicht nur Besitzerin der Glasbox, sondern auch der Stoffbox, ihr zweiter Laden in Bremen: „Weil ich nun mal selber nähe, ist mir aufgefallen, dass es in Bremen-Mitte wenig coole Läden mit Stoffen gibt. Dafür muss man erst mal eine Strecke mit dem Auto zurücklegen.” Also warum nicht die Gelegenheit beim Schopfe packen und selbst einen Stoff-Laden aufmachen? „Ich habe Kunden, die ebenfalls zuhause handarbeiten und mich auf meine Stoffe angesprochen haben.” Wie schon zuvor habe ihr auch bei dieser Entscheidung das Bauchgefühl geholfen.

Von den Worten in der Uni zu den Zahlen im Geschäft

Nach dem Studium galt es erst einmal vieles zu lernen, berichtet Kathrin. „Ahnung von Steuern und Zahlen? Nein, die hatte ich absolut nicht. Da musste ich mich überall rein arbeiten. Das Gleiche beim Thema Marketing. Ich wusste anfangs natürlich auch nicht, was ich machen muss, um eine eigene Marke aufzubauen und diese auch zu vermarkten.”

Selbstständigkeit sei nun mal kein Zuckerschlecken. „Es ist manchmal ganz schön hart. Bei mir ist es ja auch so, dass ich meine Leidenschaft zum Beruf gemacht habe. Ich habe nie Ruhe. Und perfektionistisch veranlagt bin ich leider, in Anführungsstrichen, auch noch.” Meistens gebe sie deswegen auch mehr als 100 Prozent, etwas halbes gebe es bei ihr nicht. „In 6 Jahren habe ich eine Woche Urlaub auf Mallorca gemacht. Mehr nicht. Wenn der Laden dicht ist, ist er dicht. Dann kommt auch kein Geld rein.”

Für die Unterstützung von Freunden und Familie, sei sie daher besonders  dankbar. Es ist besonders Kathrins Freund, der sie bei ihrer Arbeit unterstützt: „Dass er jetzt richtig in den Läden mitarbeitet, war mehr ein schleichender Prozess würde ich sagen”, scherzt Kathrin. Ihr Freund ist freischaffender Künstler, eigentlich mehr projektorientiert. „Wir kannten uns schon bevor ich meinen Laden aufgemacht habe. Er war also von Anfang an mit dabei. Jetzt macht er vorrangig diese ganzen Web-Geschichten, die so anfallen, wenn man einen Laden hat. Außerdem kümmert er sich um das Corporate Design”. Sie selbst lese online zwar viel, sei aber kein Typ für Selbstvermarktung. „Dafür muss man auch eine kleine Rampensau sein. Und bei technischen Angelegenheiten bin ich eh schnell an meiner Frustrationsgrenze.”

Man lernt sich selbst besser kennen

Sich hauptsächlich um die Herstellung und Auswahl von Produkten zu kümmern, sei da schon eher ihres. „Als Selbstständige habe ich die totale Entscheidungsfreiheit was das angeht. Ich bin hier nicht von dem Willen anderer abhängig.” Generell habe sie jedoch den Vorteil, so viel räumt Kathrin ein, dass ihr persönlicher Geschmack auch dem ihrer Kunden entspreche. „Ich muss mich mit den Dingen, die in der Glasbox verkauft werden, identifizieren können. Auf jeden Fall.” Kompromisse gebe es dennoch: „Machen wir uns nichts vor, wir alle müssen unser Leben finanzieren und uns unser Brot verdienen. Wenn ich weiß, dass irgendein Teil meinen Kunden gefällt, ich es aber nicht ganz so toll finde, muss ich eben über meinen Schatten springen. Wichtig ist, dass eine Linie zu erkennen ist.”

Im Laufe der Zeit habe sich Kathrin selbst besser kennengelernt, sagt sie kurz vor Ende des Gesprächs. Greta wartet nämlich. „Weißt du, ich bin einerseits eine Person, die sehr ordnungsliebend ist und hohe Ansprüche an sich und auch an andere hat. Das gebe ich zu. Andererseits bin ich aber auch eine Person, die sehr feinfühlig ist.” Bei der Produkt-Auswahl sei ihr diese Eigenschaft schon mal fast zum Verhängnis geworden. „Wir haben drei Arten von Produkten: selbstgemachte, angekaufte und auf Kommission gekaufte.” Produkte abzulehnen sei bei den „Kommissions-Menschen”, die früher noch direkt zu ihr in den Laden gekommen seien, nicht immer so gut angekommen: „Die waren teilweise so sauer. Furchtbar. Und ich habe das dann die ganze Zeit mit mir rumgeschleppt. Doof, oder?”. Kathrin hat deswegen eine Online-Anmeldung eingerichtet, erzählt sie mir. „Klingt blöd, aber damit treffe ich eine Vorauswahl. Für viele ist so eine Anmeldung schon eine Hemmschwelle. Sich als Geschäftspartner mit so einer Einstellung rumärgern zu müssen, geht gar nicht. Das ist verschwendete Lebensenergie,” sagt sie höflich, aber dennoch bestimmt. Obwohl ich Kathrin erst heute kennen gelernt habe, merke ich, dass sie sich in ihre Rolle als Selbstständige reingefunden hat.

Kurz darauf ist es auch schon so weit: Für meine Gesprächspartnerin wird es Zeit, zu ihrer kleinen Tochter zurückzukehren. Wir gehen noch ein paar Schritte gemeinsam vom Café in Richtung der Glasbox. „Ich gucke mich noch ein bisschen um”, verabschiede mich von ihr. „Ich habe vorhin nämlich zwei Poster gesehen, die ich mir jetzt kaufen werde.” Eine Zeichnung mit einer jungen Frau im Ringelshirt, die sich einen roten Ast vor das Gesicht hält und eine Grafik aus Schrift, die die Umrisse von Bremen hat. Lokalpatrioten-mäßig. „Klar, mach das gerne”, antwortet Kathrin und umarmt mich. Draußen hat sie schon wieder eine Bekannte aus dem Viertel getroffen. Sie unterhalten sich. Im Hintergrund rauscht mal wieder die Straßenbahn vorbei.

Überblick

Glasbox
Ostertorsteinweg 100 in Bremen
Telefon: 0421/68462227
Öffnungszeiten: montags bis freitags 11.30 bis 18.30 Uhr, samstags 11-18 Uhr
http://glasbox-bremen.tumblr.com/
info@glasbox-bremen.de

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