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Zum Scheitern verurteilt: (M)eine Woche ohne Plastik

Plastik ist ein Wunderstoff, der nahezu jede Form annehmen kann. Ein Luxus, den wir jeden Tag genießen: von der Zahnbürste, der Kleidung bis zum Kühlschrank. Plastik macht unser Leben einfach und ist zugleich eine der größten Umweltbedrohungen. Skeptiker behaupten, dass es im Jahr 2050 mehr Plastik als Fische im Meer geben soll. Ein Schreckensszenario und doch können wir nicht ohne leben – nicht einmal eine Woche. Von einem Selbstversuch, der zum Scheitern verurteilt war.

Das können Sie nicht schaffen. Sie scheitern schon am ersten Tag“, prophezeit Dr. Lars Gutow, Meeresbiologe am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Ich habe ihm von meinem Selbstversuch erzählt, eine Woche ohne Plastik zu leben. Mein gelber Sack soll leer bleiben. „Es fängt mit der Zahnbürste am Morgen an. Aber auch sonst schaffen Sie das nicht“, sagt Gutow. Und behält Recht. Ich scheitere am ersten Tag.

Eine Woche ohne Plastik: Steffi im Selbstversuch. (Foto: privat)

Eingriff in die Natur

Unser Leben besteht aus Plastik. Es ist überall, in unserem Zuhause, unserer Umwelt, selbst auf dem Meeresboden in Hunderten Metern Tiefe. Nach Schätzungen von Experten befinden sich allein 150 Millionen Tonnen Plastik in den Weltmeeren – das entspricht dem Gewicht von 20500 Eiffeltürmen. „Keiner kann sagen, wie viel Plastik es wirklich ist“, weiß Meeresbiologe Gutow. „Aber egal wie viel, es ist ein enormer Eingriff in die Natur.“

Als ich vor einigen Wochen bei einem Vortrag von Gutow zu Plastikmüll in Meeren war, gingen mir genau diese kaum vorstellbaren Zahlen nicht mehr aus dem Kopf. Die Vorstellung von Plastik – von unserem Plastik – auf dem Meeresboden, sogar in der Antarktis, erschreckte mich. Deswegen nahm ich mir vor, eine Woche auf Plastik zu verzichten – zu zeigen, dass es anders geht.

Die Prophezeiung bewahrheitet sich

Um einen Vergleich zu haben, habe ich zuvor eine Woche jedes einzelne Plastikteil erfasst, dass in meinem gelben Sack gelandet ist: 37 Kunststoffverpackungen, 18 Plastikfolien, hinzu kommen Tüten, Sprühflaschen, Styropor, Aufkleber, Süßigkeitenpapier. Die Liste ist lang. Immerhin verbraucht jeder Deutsche im Jahr rund 37 Kilogramm Kunststoffverpackungen – also etwa ein voller gelber Sack in zwei Wochen. Tendenz steigend. Ich bin da keine Ausnahme.

Wenn Milch, dann in der Glasflasche. (Foto: Stefanie Jürgensen)

Schon am ersten Tag merke ich, dass ein Leben ohne Plastik kaum möglich ist. Wie Gutow mir prophezeite: Es fängt mit der Zahnbürste am Morgen an. Damit mein gelber Sack bis zum Ende der Woche möglichst leer bleibt, lerne ich schnell die zwei Zauberwörter: umdenken und verzichten. Zum Frühstück gibt es statt Müsli Haferflocken mit Obst vom Wochenmarkt, Milch hole ich in der Glasflasche von der Milchtankstelle direkt beim Bauern, die meisten Süßigkeiten werden gestrichen. Doch schon beim Abendessen lauert die erste wirkliche Hürde: Im Supermarkt finde ich außer Joghurt kaum ein Milchprodukt, das nicht in Plastik verpackt ist. Der Sahnebecher im gelben Sack ist der erste Beweis meines Scheiterns.

Einkauf im supermarkt

Knapp 300 Millionen Tonnen Kunststoff werden weltweit jedes Jahr produziert. 1950 waren es weniger als 40 Millionen Tonnen. Rund 10 Millionen Tonnen Kunststoff landen pro Jahr in den Meeren. 50 Prozent davon stammen aus China, Indonesien und den Philippinen. „Das passiert aber auch bei uns. Es ist nur nicht so offensichtlich, weil die Strände gesäubert werden“, weiß Gutow. Plastik werde bei uns kaum als Problem wahrgenommen.

Das merke ich bei meinem wöchentlichen Großeinkauf. „Können Sie das auch direkt in meine mitgebrachte Plastikdose geben?“, frage ich die Fleischereiverkäuferin. „Ich versuche, ohne Plastik zu leben“, erkläre ich schnell. „Das geht aus hygienischen Gründen nicht“, erwidert sie und sieht mich an, als wäre ich nicht bei Sinnen. Die ohnehin schon in Plastikfolie eingewickelten Einkäufe steckt sie ungefragt in eine Plastiktüte. Ich erwähne nicht mehr, dass erste Supermärkte Wege entwickeln, dass Kunden an der Frischetheke eigene Boxen nutzen können.

Wie etwa in den zwölf baden-württembergischen Supermarktfilialen von Dieter Hieber. „Uns hat die Menge an Papier- und Plastikmüll schockiert, die mit jedem Einkauf an der Frischetheke produziert wird“, sagt Larissa Rudolph von Hiebers Team. Seit April 2016 gibt es dort die Option, mit eigenen Plastikdosen einzukaufen. „Mit Einhalten gewisser Regeln ist das problemlos möglich.“ Die Dosen werden dabei auf einem Tablett über die Theke gereicht, Hygienevorschriften nicht verletzt.

Das Problem liegt bei uns

Den Grundstein für den weltweiten Siegeszug des Plastiks hat Leo H. Baekeland im Jahr 1907 gelegt. Damals stellte der belgische Forscher den ersten vollsynthetischen Kunststoff her: Bakelit. „Kunststoff an sich ist ja nicht schlecht, nicht böse. Es ist ein super Werkstoff, ohne den wir unseren Lebensstandard nicht halten könnten“, sagt Gutow. Das Problem, so der Meeresbiologe, sei unser Umgang damit.

Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun. – Moliere

Wie einfach Plastik unser Leben macht, merke ich in dieser Woche immer wieder. Beim Wochenmarkt und beim Bäcker bekomme ich auf Nachfrage alles ohne Plastikverpackung, doch im Supermarkt geht daran kein Weg vorbei. Einiges streiche ich von meiner Einkaufsliste, anderes lege ich trotzdem in den Wagen. Die Alternativen fehlen meist. Der nächste Unverpackt-Laden ist 70 Kilometer entfernt. Auch im Haushalt komme ich nicht am Kunststoffmüll vorbei: Zuerst ist das Haarshampoo leer, dann das Deospray und der Badreiniger.

„Das Problem geht aber viel tiefer. Es ist nicht allein Plastik. Der Konsum ist das Problem“, sagt Gutow mir. Er fordert ein Umdenken in der Gesellschaft und einen bewussteren Umgang mit Einweg-Produkten. „Wir müssen den Eintrag in die Meere reduzieren und mit Kunststoff langfristig anders umgehen. Recycling muss billiger werden.“

Mein Fazit: Gewissensbisse

Am Ende der Woche wiegt mein Müllsack die Hälfte im Vergleich zur Vorwoche und enthält statt 89 nur 30 weggeworfene Teile. Immerhin. Doch als ich den nicht einmal halb gefüllten Sack zuknote, bin ich enttäuscht über das Ergebnis. Und erleichtert. Überall und immer auf Plastik zu achten, hat an meinen Nerven gezerrt. Endlich wieder unbedacht einkaufen, denke ich – und habe prompt ein schlechtes Gewissen.

Als ich am kommenden Tag im Radio den Neunziger-Hit „Barbie Girl“ höre, muss ich schmunzeln. „Life in plastic, it’s fantastic“ singt die Pop-Band Aqua darin. Stimmt irgendwie. Weitermachen wie zuvor werde ich aber nicht. Auch wenn es einfach ist.

Der Weg ins Meer. (Foto: Charlene Schnibbe)

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