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Wenn Versetzen an Demütigung grenzt

Ich will ‘nen Typen wiedersehen und das schon seit zwei Monaten. Es ist nichts Festes, würde es auch nie werden. Dagegen sprechen verschiedene Gründe – auch die Entfernung Bremerhaven/Köln. Doch wir mögen uns. Und wollten uns wieder treffen, dachte ich zumindest. Also haben wir uns locker für einen Abend in Hamburg verabredet, wo wir beide sowieso beruflich in der Stadt waren. So weit, so gut.

Noch am frühen Freitagabend versichert er mir: „Ich rufe dich zwischen elf und zwölf an, wenn ich mit der Arbeit durch bin.” Alles klar, ich bin sowieso noch mit Freunden unterwegs, passt also. Es wird elf. Es wird zwölf. Und es wird halb eins. Meine Freunde wollen langsam nach Hause, aber ich habe noch nichts gehört, will auch nicht nerven. Er wird sich schon melden, denke ich. Doch meine Freundin hat’s irgendwie im Gefühl und drängelt. „Ruf ihn an” (telefonieren tun wir sonst nie). Ich sehe, er ist online, ergreife die Chance, aber nichts. Nach fünf Minuten der Rückruf. Es tue ihm leid. Er sei verhindert, es gebe beruflich noch eine Sache zu erledigen. Ob ich ihm noch eine Stunde geben könnte.

Don’t allow someone to make you feel you’re not good enough.

Meine Freunde bestreiten nun den Nachhauseweg, Mein letzter Zug heimwärts ist bereits vor zwei Stunden abgefahren. Ich habe keine andere Wahl als mich (bereits ziemlich enttäuscht) ihnen anzuschließen und es mir auf ihrer Couch bequem zu machen, bis er sich meldet (denn er lasse mich dort mit dem Taxi abholen und bezahle auch dafür). Dann ein Zwischenstand: „In einer halben Stunde kann ich dir mehr sagen. Bleib wach!” Okay. Ich schalte also den Fernseher an, warte bis um zwei Uhr. Um drei Uhr greife ich zum Handy und schreibe: „Ich werde nun schlafen. Mein Handy bleibt an, du kannst mich also noch erreichen.”

Um halb vier klingelt dann mein Telefon: er. „Ich bin jetzt im Hotel, ich will dich wirklich so gerne sehen, Nina, aber ich muss mir das Zimmer mit einem Kollegen teilen.” Ich bin total verständnisvoll, nehme alles so hin. „Ab halb acht bin ich morgen früh allein. Bis dahin können wir beide ein wenig schlafen und dann kommst du her?”. Wir vereinbaren also beide, unsere Wecker auf sieben Uhr zu stellen. Um zwanzig nach sieben – ich schon auf dem Sprung – ploppt wieder eine Nachricht auf: „Habe kaum geschlafen. Ich bin so müde.” Und ich mittlerweile SO genervt! Es konnte ja gar nicht anders kommen. Warum lasse ich das mit mir machen? Ich bin einfach nur noch wütend. Auf ihn. Aber vielmehr auf mich selbst. Das habe ich nicht nötig. Ich hätte es viel eher erkennen und beenden sollen. Habe ich aber nicht.

We all eat lies when our hearts are hungry.

Deswegen kämpfe ich jetzt auch bis zum Ende. „Wir können zusammen müde sein”, schreibe ich (zu lieb, zu nett, ich weiß). „Ich muss um neun Uhr los”, ist nämlich die Antwort. „Ich könnte in zehn Minuten da sein, ansonsten fahre ich jetzt nach Hause” (geht’s noch?), ist die letzte Nachricht von mir. Und auch die letzte insgesamt. Ich nehme den ersten Zug nach Hause. Fühle mich elend.

Ich habe immer noch nicht ganz realisiert, dass mir das tatsächlich so passiert ist. Man muss dazu sagen, dass er sowohl in seinen Texten als auch am Telefon sehr ehrlich und bemüht klang. Ich weiß, dass er sehr, sehr, sehr, sehr viel um die Ohren hat. Ich beschreibe ihn gerne als Fisch, der so glitschig im Sinne von beschäftigt ist, dass man ihn einfach nicht greifen, geschweige denn für einen kurzen Moment festhalten kann. Deswegen das große Verständnis, die Geduld und die Beharrlichkeit meinerseits. So ein Fisch ist zwar sehr reizvoll, aber irgendwann – ist mir jetzt klar – muss trotzdem Schluss sein. Und zwar dann, wenn es anfängt, an Dreistigkeit zu grenzen und vor allem ich anfange, mich richtig mies zu fühlen.

Wieso können Typen nicht einfach sagen, was Sache ist? Ein einfaches „Ich kann doch nicht” oder auch „Ich will doch nicht“, hätte mir genügt. Mir gezeigt, woran ich bin und mich definitiv weniger verletzt. Das wäre für mich sogar völlig in Ordnung gewesen. Auch mir wächst mal alles über Kopf. Aber solche Erfahrungen muss man machen, denke ich. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich nächstes Mal schlauer bin. Denn wenn ich einen Mann mag, fällt es mir immer sehr schwer, konsequent zu sein.

Die Nachgeschichte: Zurück in Bremerhaven lasse ich am Sonntagabend die Nacht mit einer Freundin Revue passieren. Nach unserem Gespräch entschließe ich mich dazu, noch eine letzte Nachricht zu schicken. In der ich meine Enttäuschung kund tue, mein Verständnis zeige und schreibe, dass ich mich freuen würde, wenn es vielleicht irgendwann anders noch einmal klappt. Ich will zeigen, dass ich zwar verletzt war, aber darüber stehe. Keine Antwort – zwei Tage lang.

Am Dienstag – nach qualvollen 48 Stunden der Demütigung – folgt dann die Auflösung: Sein Handy hatte den Geist aufgegeben. Und es ist wahr, ich weiß es. Er erklärt mir die Situation in einer Sprachnachricht. Entschuldigt sich, auch am Tag danach nochmal. So ist es okay für mich. So kann ich mit dem „Vorfall” abschließen. Seitdem hat sich keiner von uns mehr gemeldet. Wir wissen wohl beide, dass es nicht funktionieren würde.

Mir ist im Nachhinein zwar bewusst: Er hat mich nicht absichtlich demütigen wollen. Aber dieses Gefühl war trotzdem da. Und ich möchte es nicht wieder erleben.

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