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Unter der Haut: Wenn Liebe krank macht

Oft feministisch, noch öfter intim: In ihrer Kolumne schreibt Janina über alle Themen, die ihr unter die Haut gehen. Heute geht es um die dunkle Seite der Liebe.

Was ist eigentlich Liebe? Mit dieser Frage haben sich über die Jahrhunderte hinweg schon unzählige Menschen beschäftigt. Egal ob jung oder alt, fröhlich oder traurig, religiös oder nicht-religiös. Die Liebe interessiert uns alle. Im Großen und Ganzen geht es bei ihr wohl um starke zwischenmenschliche Beziehungen – für mich ist die Liebe aber in erster Linie eine Frage der individuellen Auffassung: Sie ist nichts, was sich in ein oder zwei Sätzen beschreiben lässt. Nichts, was in Stein gemeißelt ist. Die Liebe ist etwas, das sich im Laufe der Zeit verändert. Genauso wie wir uns im Laufe der Zeit verändern. Denn: Wie viele von uns haben mit 16 die gleiche Auffassung von Liebe wie mit 26?

I learned a lot about falling in love, when i fell out of love.

Was partnerschaftliche Gefühle (im Unterschied zu platonischen oder familiären) angeht, habe ich immer dann viel über die Liebe gelernt, als sie mir in negativer Art und Weise begegnet ist. Hier zwei Episoden aus meinem Leben, die nicht schön, aber lehrreich waren.

Eine Leidenschaft, die Leiden schafft

Episode 1: Wenn man den Erzählungen von Bekannten und Freunden Glauben schenken mag, erleben die meisten ihre erste Liebe in der Teenager-Zeit. Ich hingegen war 24, als ich zum ersten Mal jemanden getroffen habe, der dieses besondere Gefühl in mir auszulösen vermochte, von dem alle in den schillerndsten Farben berichtet hatten. Dieses Kribbeln, diese Leidenschaft, diesen Eindruck, links und rechts nicht mehr voneinander unterscheiden zu können. All das fühlte ich, obwohl ich früher immer geglaubt hatte, zu rational und nicht für die Liebe bestimmt zu sein.

Episode 1 traf mich wie ein Schlag, den sich wohl auch Rosamunde Pilcher nicht kitschiger hätte ausmalen können: Ich war im Urlaub in einem europäischen Land, als ich ihn kennen lernte. Unsere Blicke trafen sich quer durch einen großen Raum. „Ich fand dich schon aus der Ferne unglaublich sympathisch”, erzählte er mir später. Mir ging es genauso. Wie ein Feuerwerk fühlte sich diese Begegnung an. Jeden Tag gingen wir miteinander aus, er zeigte mir seine Heimat. Wir waren ziemlich verschieden, unsere Leben waren verschieden, aber das war uns in diesen Momenten egal. Hätten wir in demselben Land gewohnt, wären wir sicherlich sofort ein Paar gewesen. Ich wollte nach der Uni sogar für einige Zeit zu ihm kommen, vielleicht ein freiwilliges kulturelles Jahr in seiner Heimat machen. Warum auch nicht?

Genauso groß wie die Sehnsucht, die sich sofort in mir gemeldet hatte, als ich wieder in Deutschland gelandet war, waren allerdings auch die Probleme, die sich bald zwischen uns bemerkbar machten: Ich mochte ihn, wie ich noch nie jemanden gemocht hatte. Das stand für mich fest. Warum? Keine Ahnung. Allerdings war er eine schwierige Persönlichkeit. Wie ein Fisch, den ich nicht richtig greifen konnte. Je näher wir uns kamen, indem wir ununterbrochen miteinander schrieben oder abends skypten, desto mehr Abstand schien er zu brauchen.

Muse – Dead Inside 

 

Revere a million prayers
And draw me into your holiness.
But there’s nothing there.
Light only shines
From those who share (…). 

On the outside you’re a blaze and alive,
But you’re Dead Inside (…). 

Machtspiele begonnen: Er gab mir das ambivalente Gefühl, mir nah sein zu wollen, mich aber gleichermaßen auch für unser, wohl hauptsächlich für sein Leid, verantwortlich zu machen. Paradox, dachte ich. Psychologisch betrachtet war er infantil. Er verhielt sich wie ein Kind, das nach seiner Mutter schreit, weil es hungrig ist, sie dann aber mit den Füßen wegtritt.

Wie schaffte es dieser Mensch nur, dass ich mich auf einmal so schlecht fühlte? Vor allem aus der Entfernung? Das ging einfach nicht in meinen Kopf, bis mir eine Freundin einen Artikel über narzisstische Persönlichkeiten unter die Nase hielt: ein Auf und Ab von Gefühlen, Fixierung auf eigene Bedürfnisse – das und viele weitere Merkmale trafen auf ihn zu. Unfassbar. Unfassbar zermürbend. Zwischendurch musste ich den Kontakt notgedrungen sogar abbrechen. Die Seiten meiner Master-Arbeit vermehrten sich gefühlt nicht. Ich hatte keinen Appetit mehr. Kurz, ich war total überfordert. Nicht mit der Entfernung zwischen uns, sondern mit seinem Verhalten.

Als er sich irgendwann wieder meldete, konnte ich nicht anders, als mich wieder auf ihn einzulassen. Wir mögen uns doch beide dachte ich. Natürlich naiv, aber durch und durch rational zu sein, bringt es nun mal auch nicht immer. Wir schrieben uns wieder. Ständig. Aber: Gleiches Spiel wie vorher. Sein Nähe-Distanz-Problem machte sich wieder bemerkbar. Kurz bevor ich zu ihm fahren wollte, „überraschte” er mich mit einem neuen Profil-Bild bei WhatsApp, das ihn mit seiner neuen Freundin zeigte. Ich wusste sofort, was Sache ist. Sehr subtil, du feiges Arschloch, dachte ich. Sind wir hier im Kindergarten? Musstest du es rauszögern, bis es nicht mehr ging? Wut, Trauer, Scham – in meinem Gefühlshaushalt ging es die nächsten Wochen drunter und drüber. Er schrieb nichts mehr, weil ihm wahrscheinlich die Worte fehlten. Vielleicht war es ihm auch egal oder er verdrängte die Situation.

Keira Knightley – Tell Me If You Wanna Go Home 

 

Tell me if you wanna go home,
Cause I’m just not sure.
Tell me if I’m back on my own,
How to get back there.
Giving back a heart that’s on loan.
And I just can’t bear,
Tell me if you wanna go home,
If you’re not there.

Für manche mag sich diese Episode nach einer schlecht geschriebenen GZSZ-Lovestory anhören. Mir hat sie damals das Herz gebrochen. Mir, die ich mich normalerweise als stark und emanzipiert beschreiben würde.

Aus der Angst erwächst die Stärke

Episode 2 ist kurz erzählt: Ich habe einmal einen Mann getroffen, mit dem ich mich auf Anhieb gut verstand und von dem ich dachte, dass er ein guter Freund von mir werden könnte. Von seiner Seite aus entwickelten sich leider schnell andere Gefühle für mich. Liebe sagte er. Obsessive Liebe, merkte ich. Seine (ebenfalls narzisstische) Persönlichkeitsstruktur (siehe Episode 1) traf auf meine zu starke, und gleichermaßen ungesunde Höflichkeit.

Eine schlechte Kombination. Er konnte meine Ablehnung nicht akzeptieren und ich fühlte mich, angesichts seiner omnipräsenten Kontaktversuche, ohnmächtig, konnte nicht mehr schlafen, hatte ständig Herzrasen, war unkonzentriert. Als (endlich) jegliche Höflichkeit und jegliches Mitleid ihm Gegenüber verschwunden waren, hörte es noch immer nicht auf: Er akzeptierte meine Grenzen nicht und wir bewegten uns Tag für Tag weiter in die Richtung von Stalking.

Narzisstische Persönlichkeiten

 

Umgangssprachlich versteht man unter „Narzissten“ Menschen mit ausgeprägten Egoismus, Arroganz und Selbstsüchtigkeit. Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung ist dagegen eine tiefgreifende Störung der Persönlichkeit, bei der mangelndes Selbstwertgefühl besteht sowie starke Empfindlichkeit gegenüber Kritik. Diese Merkmale wechseln sich ab mit einer auffälligen Selbstbewunderung, Eitelkeit und einem übertriebenen Selbstbewusstsein nach außen hin. Betroffene versuchen Unsicherheiten zu kompensieren. Sie sind auf der Suche nach Zuwendung und Anerkennung, verhalten sich durch ihr fehlendes Empathie-Vermögen. aber ausbeuterisch und rücksichtslos.

Zum Glück habe ich von vornherein mit offenen Karten gespielt und mit Freunden, Bekannten und meiner Familie – vor allem aber mit meinem Freund – darüber gesprochen. Diese Menschen hinter mir zu wissen, hat mir damals unglaublich viel Kraft gegeben. Auch aus dem Grunde, weil nicht jeder aus meinem Umfeld die Ernsthaftigkeit der Situation verstand, vielleicht auch nicht verstehen wollte. Das weiß ich nicht.

Und das Ende? Irgendwann sah auch er die Situation mit anderen Augen und nahm von selbst präventive Hilfe in Anspruch. Ich beschäftige mich seitdem mit der Arbeit des Weißen Rings und plane, mich aktiv dafür zu engagieren.

Was bleibt sind Erfahrungen, keine erlebnisse

Genau wie das Leben, so hat auch die Liebe unglaublich viele Grautöne. Das ist mir nach diesen zwei Episoden klarer als je zuvor. Ich möchte die Liebe daher weder in zwei Sätzen zusammenfassen noch irgendwelche Patent-Rezepte aufstellen, die in guten oder schlechte Zeiten zur Rate gezogen werden können. Jeder hat seine Sicht auf die Liebe, denke ich. Seine Sicht, in die eigene Erlebnisse, eigene Bewertungen und auch viele weitere Faktoren mit einfließen.

Meine zwei dunklen Liebes-Episoden, die ich hier beschrieben habe, sind „inhaltlich” eigentlich nicht wirklich vergleichbar. Zumal Liebeskummer genauso wenig (unerfüllte) obsessive Liebe ist, wie eine Birne ein Apfel. Die Episoden nieder zu schreiben, hat mir allerdings dabei geholfen, meine eigene Sicht auf die Liebe zu reflektieren – sozusagen ein bisschen Licht in die vielen Grautöne zu bringen.

Um nicht dauerhaft der (negativen) Vergangenheit nachzuhängen, versuche ich außerdem, mich stets an folgenden Ratschlag aus dem Hinduismus zu halten: Für das eigene Wohl ist es gut, Erlebnisse zu vergessen. Wir sollen allerdings Erkenntnisse aus ihnen ziehen. Unsere Erfahrungen können uns bei zukünftigen Erlebnissen behilflich sein. Hier meine neuen Erkenntnisse – für Zukunfts-Janina:

Intensität: Ich habe erlebt, dass Liebe uns Menschen in ungeahnte Höhen befördern, uns aber genauso tief wieder fallen lassen kann. Für einen sonst sehr ausgeglichenen, mehr rationalen Menschen, war diese Erkenntnis vorher nur schwer nachvollziehbar.

Gleichgewichte: Im Leben und in der Liebe geht es um Gleichgewichte. Die Liebe ist ein Balance-Akt zwischen dem Verstand und dem Gefühl, zwischen dem Wir und dem Selbst, zwischen dem Geben und dem Nehmen, zwischen den Stärken und den Schwächen. Um nur ein paar Pole zu nennen.

Risiko-Bereitschaft: Liebe heißt für mich seine Ängste los zu lassen und seinen Wunsch nach Kontrolle aufzugeben. In manchen Fällen geht das nicht gut, in anderen aber schon. Durch meinen jetzigen Partner habe ich gelernt, wie schön es sein kann, sich einem anderen Menschen voll und ganz hinzugeben. (Eigentlich muss ich von „lernen” sprechen. Das Ganze ist nach wie vor ein Prozess für mich.).

Narzisstische Persönlichkeiten: Jemandem helfen zu wollen ist eine Sache. Sich vollends für Leute aufzuopfern, die nur auf ihre eigenen Bedürfnisse achten, ist eine andere. Ich möchte meinen ersten Liebeskummer nicht missen, da er mir (am eigenen Leib) gezeigt hat, wie egoistisch Menschen sein können.

Eigene Bedürfnisse: (Dieser Punkt ist eng mit dem vorherigen verbunden). Episode 2 hat mir nochmals verdeutlicht, wie wichtig es ist, auf seine eigenen Bedürfnisse zu achten. Nicht im Sinne von „nur auf seine eigenen Bedürfnisse zu achten” oder „selbst rücksichtslos zu werden”, sondern ein gesundes Gleichgewicht zu finden.

Leiden: Zum Leben und Lieben gehört leider auch das Leiden, das akzeptiere ich jetzt. Ohne meine negativen Erlebnisse wäre ich um einige Erfahrungen ärmer. Ohne die dunklen Seiten würden die hellen weniger hell strahlen.

Dankbarkeit: Ein dankbarer Mensch bin ich ohnehin. Dadurch, dass ich die dunklen Seiten der Liebe kennengelernt habe, weiß ich die hellen aber, wie gesagt, noch mehr zu schätzen. Heute glaube ich, dass lieben und geliebt zu werden, das Größte und Schönste ist, was wir Menschen in unserem Leben je kennen lernen dürfen.

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