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Unter der Haut: Warum wir öfter „Nein“ sagen sollten

Oft feministisch, noch öfter intim: In ihrer Kolumne schreibt Janina über Themen, die ihr unter die Haut gehen. Heute geht es um ein Problem, das viele haben – und das heißt „Nein”. Warum es uns so schwer fällt, dieses kleine Wörtchen mit der enormen Durchsetzungskraft laut auszusprechen. Was ein fehlendes „Nein” jedoch für folgenschwere Konsequenzen für uns haben kann.

Vor einiger Zeit saß ich mit meinem Freund auf dem Sofa. Wir wollten uns einen ruhigen Abend machen und dabei eine DVD gucken. Es standen mehrere zur Debatte. Als ich einen meiner Lieblingsfilme vorschlug, antwortete er „nein”. Ohne Umschweife. Ich war von null auf hundert wütend. „Darauf habe ich jetzt keinen Bock”, lautete seine nachgeschobene Begründung. Ich wiederum hatte daraufhin keinen Bock mehr, überhaupt noch einen Film mit ihm zu gucken.

Es zu hören tut weh

Ein „Nein” zu hören kann manchmal weh tun und sich so anfühlen, als ob man mit dem Kopf gegen eine Wand läuft. Es kränkt das eigene Ego. Die Situation mit meinem Freund war da natürlich noch harmlos. Er ist – nebenbei gesagt – einer der liebsten Menschen, den ich je in meinem Leben getroffen habe. Nur „ein wenig” direkt, woran ich mich am Anfang unserer Beziehung erst gewöhnen musste. Heute liebe ich ihn genau dafür.

Learn to say „no“ without explaining yourself.

Bevor meine schriftliche Liebeserklärung an dieser Stelle ausufert, wieder zum eigentlichen Thema: Warum hatte ich mich in dieser vergleichsweise harmlosen Situation innerlich so aufgeregt? Der Grund ist simpel: Ich selbst kann nicht „nein” sagen. Jedenfalls nicht besonders gut. Früher war es ganz schlimm, jetzt ist es besser. Wahrscheinlich war ich eifersüchtig auf meinen Freund – nach dem Motto: „Warum kannst du das, was ich nicht kann?”.

Nein: Eine Frage der Sozialisation

Heute denke ich, dass meine Erziehung stark zu meinem nein-Problem beigetragen hat: Rücksichtnahme war immer ein großes Thema in meinem Elternhaus. Andere waren stets wichtiger als man selbst. Eine sehr edle Auffassung, die später allerdings viele Probleme mit sich bringen kann.

Ich bin außerdem davon überzeugt, dass auf Mädchen ein höherer Druck lastet als auf Jungen. Das Nein-Problem ist eine Frage der Sozialisation – auch heute noch: „Brave Mädchen gehorchen. Wenn du ‘nein’ sagst, mögen dich die anderen nicht mehr.” Solche Gedanken fangen bei Schneewittchen an, die ohne nachzufragen, auf das Pferd des Prinzen hüpft und mit ihm in den Sonnenuntergang reitet. Solche Gedanken hören bei Heidi Klum auf, die junge Mädchen vor der gesamten Nation zum Horst macht und meint, ihnen ihre Auffassung von „richtig” und „falsch” vermitteln zu müssen. Heidis „Mädchen” lassen das stillschweigend über sich ergehen. Klar, sonst gibt es kein Foto.

Am Ende stand die Belästigung

Je älter ich werde, desto klarer sehe ich, dass ich an einem innerem Zwiespalt leide: einerseits bin ich sehr empathiefähig und auf das Wohl von anderen bedacht, andererseits bin ich sehr willensstark und ambitioniert, was meine persönlichen Ziele angeht. Mein Gerechtigkeitsempfinden ist außerdem sehr ausgeprägt. In der Vergangenheit habe ich mich daher schon oft darüber geärgert, aus falscher Höflichkeit oder was für Gründen auch immer, nicht „nein” gesagt zu haben.

Dabei liegt es mir so oft auf der Zunge. Wenn ich es nicht sage, macht sich das Gefühl von Zerissenheit in mir breit. Enge in der Brust. Und dieser Shit kostet Kraft.

Beispiele in denen ich gerne „nein” gesagt hätte, gibt es viele. Manche weniger schlimm, manche mehr: Von einem katastrophalen ersten Mal, das ich mir gerne gespart hätte, über eine ultra bitchige Mitbewohnerin in Uni-Zeiten (lange Geschichte mit erstem Anwaltsbesuch inklusive), hin zu einer ehemaligen Freundin mit Drama-Allüren, die keine Gelegenheit ausgelassen hat, an mir zu zerren und mich für ihr Unwohlsein verantwortlich zu machen.

Besonders im Umgang mit Narzissten ist das Nein-Problem fatal: Ein Bekannter von mir, den ich für einen potentiellen guten Freund hielt, hatte starke romantische Gefühle für mich entwickelt, konnte und wollte meine Ablehnung jedoch nicht akzeptieren. Resultat: Belästigung. Aus meiner Perspektive ging es nur um seine eigenen Bedürfnisse. Ob ich heule, egal. Ob ich bitte, egal. Das „Nein” ohne anschließende Diskussion kam wahrscheinlich zu spät. Heute will ich keinen Kontakt mehr. Die Gräben sind zu tief.

Es knallt, wenn Empathiefähigkeit auf Empathielosigkeit trifft. In dieser Situation ist mir endgültig klar geworden, dass (anfängliche) Höflichkeit und Rücksichtnahme nicht immer weiterhelfen. Und zwar keinem von beiden.

Das „Nein“ steht am Ende des Satzes

Manche würden jetzt sagen, dass ich selbst schuld bin. Ich hätte schließlich (früher) „nein” sagen können. Vielleicht würden sie auch sagen, dass mein Nein-Problem ein Zeichen von Schwäche ist.

Bullshit sage ich dazu: Es ist einfach, jemandem die Schuld an einer Sache zu geben – vor allem dann, wenn man selbst nicht betroffen ist, und nicht weiß, wie vertrackt die Situation wirklich ist, in der sich der andere gerade befindet. Bin ich etwa schuld an einem zwischenmenschlichen Konflikt, weil ich zu nett bin und meistens mehr an andere denke, als an mich selbst? Bin ich schuld daran, wenn Menschen ungerecht zu mir sind und ich mich nicht schnell genug dagegen wehre? Ist das die Definition von Schuld? In einer sozialdarwinistischen Ellenbogen-Gesellschaft bestimmt.

Ich kann dieses ganze Gelaber nicht mehr hören. Es macht mich aggressiv, weil es für mich ein Zeichen eines ziemlichen beschränkten Horizonts ist. Fuck it! Das Leben ist nicht nur schwarz und weiß, ist nicht nur ja und nein. Ich plädiere zwar hier und heute dafür, öfter „nein” zu sagen, möchte aber gleichzeitig auch das Bewusstsein dafür schärfen, wie schwer es sein kann, dieses Wort in einigen Situationen auch laut auszusprechen.

„Frauen sagen immer noch selten ‘nein’. Das war früher so und das ist noch heute so”, erzählte mir Monika Kotte vom Arbeitsförderungs-Zentrums (afz) in Bremerhaven letztens während eines Interviews. Ein Satz, der mich nicht wundert und der perfekt in den Kontext dieses Artikels passt. Kotte setzt sich seit Jahrzehnten für Frauen in der Berufswelt ein. „Die meisten trauen sich nicht, nach mehr Geld zu fragen.” Was folgt ist Resignation, vielleicht sogar Burnout. Ungerecht, aber wahr. Eine Tatsache, die sich ändern muss.

Ich für meinen Teil habe keine Lust mehr auf falsche Höflichkeit. Meine Shit-Liste, die sich in 26 Lebensjahren angehäuft hat, ist mir schlichtweg zu lang. Öfter „nein” zu sagen heißt für mich nicht, anderen Menschen dauernd vor den Kopf zu stoßen und selbst den Ego-Pfad einzuschlagen. Ich finde es schön, empathiefähig zu sein. Wie immer im Leben geht es jedoch ums Gleichgewicht: „Nein” bedeutet für mich, stärker auf die eigenen Bedürfnisse zu hören. Das ist gerade dann wichtig, wenn man ein sehr sensibler Mensch ist. „Nein” und Punkt. Das „nein” sollte am Ende des Satzes stehen. Es verlangt nach keiner weiteren Diskussion. Auch wenn es dem Gegenüber manchmal weh tut.

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