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Die Vision von einem Morgen

Was treibt dich an? Das ist vielleicht nicht nur die Lebensfrage aller Lebensfragen. Sondern auch die Thematik, unter der derzeit viele Veranstaltungen im Rahmen der Gründungswoche stattfinden. So auch „Bremerhaven – Stadt der Zukunft“, wo es darum ging, die Stadt der Digital Natives zu werden. Was wir tun müssen, um digitale Könner an unsere Unternehmen zu binden. Ein inspirierender Abend.

2010 war der Auslöser dessen, was Steffi Burkhart heute tut. Für ihre Doktorarbeit hat sie zwei Jahre lang in einem Konzern arbeiten müssen, der nicht ihrer Mentalität entsprach. Erst suchte sie den Fehler bei sich, bei ihrer Persönlichkeit. Stellte dann aber schnell fest: Es liegt nicht an mir. Diese hierarchischen Arbeitsweisen sind für mich und meine Generation Y – die Millennials – nicht mehr zeitgemäß. Sobald sie konnte, hat sie das Unternehmen verlassen. Heute arbeitet sie als Sprachrohr der 20- bis 35-Jährigen. Vermittelt in ganz Deutschland, was die Bedürfnisse dieser Generation, vor allem in der Arbeitswelt, sind.

„Ich hatte das Gefühl, ich bin in eine Welt eingetaucht, die anders ist, als die Realität außerhalb des Unternehmens“, so Burkhart. Fremdbestimmung. Regelkonformität. Anwesenheitspflicht. „Flexibilität und Spontaneität kannte man dort nicht.“ Ihre Erfahrung stehe als Metapher für all die Gewohnheiten, all die Regeln und Konformitäten, die wir uns „irgendwann mal aufgebaut haben“ und an denen wir uns heute noch festhalten. Obwohl es an der Zeit sei, sich davon zu lösen.

Jeder hat einen Anspruch darauf, glücklich und erfolgreich zu sein.

Zusammen mit Philipp Ghadri möchte sie diese Message der Stadt Bremerhaven ans Herz legen. „Unternehmen müssen versuchen, Digital Natives zu binden. Ansonsten werden sie die Stadt verlassen.“ Ghadri hat in den letzten 15 Jahren mehr als zehn Unternehmen gegründet. Relativ schnell hat es ihn in die USA gezogen, das „beste Gründerland der Welt“. „Pursuit of Happiness“ stehe sogar in der amerikanischen Verfassung. „Jeder hat einen Anspruch darauf, glücklich und erfolgreich zu sein“, so Ghadri, „und den amerikanischen Traum leben zu können.“ 2003 hat er dann sogar ein Unternehmen gegründet, dass er 2011 als Berater an die New York Stock Exchange gebracht hat. Das sei eine Erfahrung, die er jedem nur wünsche könne.

„Die Millennials haben die Deutungshoheit über das wichtigste Massenmedium unserer Zeit – das Internet“, so Burkhart. „Im Silicon Valley wurden 99 Prozent der Unternehmen von Millennial-Vertretern gegründet oder die Mitarbeiter sind aus dieser Generation.“ Interessant daran sei, dass die Unternehmensbewertungen dieser Unternehmen teilweise höher seinen, als aus der „old economy“. Ghadri nennt ein Beispiel: „Die Hilton-Hotelkette ist eine der schnellst wachsenden der Welt. Sie ist fast hundert Jahre alt und zählt über eine Million Betten.“

Das ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, wo jeder mitmachen muss.

Der Börsenwert des Unternehmens betrage derzeit rund 28 Millarden US-Dollar. „Auf der anderen Seite hat Airbnb – und sie besitzen nicht ein einziges Zimmer – eine Unternehmensbewertung von 30 Millarden US-Dollar.“ Sobald Airbnb an die Börse gehe, würde sich die Bewertung wahrscheinlich noch einmal verdoppeln. „Das zeigt, wie wichtig Tech-Unternehmen für eine Volkswirtschaft sind. Sie sind in der Lage, Menschen aus der ganzen Welt anzuziehen, die dort arbeiten wollen. Solch eine Attraktivität gilt es auch für Bremerhaven zu schaffen.“

Niemand hätte noch vor 20 Jahren daran geglaubt – 1997, als die Millennials im Kindergarten- und Grundschulalter waren – dass die Ideen dieser Generation etablierte Unternehmen überholen würden, so Burkhart. „Für diese Umsetzung braucht es Räume innerhalb von Organisationen. Und digitale Könner, die sowohl die Stadt als auch die Unternehmen dabei unterstützen, diese Thematik nach vorne zu bringen.“

Das Problem: Auf dem Markt gibt es ein Ungleichgewicht. Zwischen Bedarf und Anzahl der „digitalen Könner“. „Ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, das in der Zukunft noch deutlich ansteigen wird“, so Burkhart. Prognosen gehen heute schon davon aus, dass wir 2030 circa vier Millionen digitale Jobs nicht besetzen können. „In Ausbildungssystemen muss bereits jetzt besser auf die aktuelle Thematik vorbereitet werden.“ „Wir haben viel zu wenig Schulen und Universitäten, die diese Kompetenzen der jungen Menschen ausreichend fördern“, so Ghadri. Das sei auch ein Appell an die Politik, hier wesentlich mehr zu tun. „Ansonsten werden wir Probleme bekommen.“ Studien würden zeigen, dass Deutschland für top ausgebildete IT-Leute nicht mehr wirklich attraktiv sei. „Das ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, wo jeder mitmachen muss.“

WAR FOR TALENT

Sprich: Städte und Schulen müssen sich umstellen. Themen wie „Künstliche Intelligenz“, „Virtual Reality“, „3D-Druck“ oder „Datenanalyse“ auf die Agenda nehmen. Außerdem sei es „grob fahrlässig“, wenn wir nicht heute schon damit anfangen würden, alle Mitarbeiter auf neue digitale Themen weiterzubilden, um sie für die Zukunft fit zu machen. Denn Städte und Unternehmen konkurrieren nicht nur mit digitalen Start-Ups, sondern auch mit den US-Internetgiganten, die sich auf dem europäischen Markt ausbreiten. „Sie versuchen Talente zu rekrutieren, seit die Gehälter im Silicon Valley so explodiert sind“, erzählt Burkhart. Netflix bezahle als Einstiegsgehalt 300 000 US-Dollar. „Völlig verrückt“, so Burkhart. „Wir werden es deshalb mit einem ,war for talent‘ zu tun bekommen, den eine Studie 1997 schon vorausgesagt hat.“

Nur wie kann ich Talente anziehen? „Gerade die digitalen Könner, die eine Stadt wie Bremerhaven hat, werden sich in Zukunft gar nicht mehr bewerben“, weiß Burkhart. „Sie werden von Headhuntern abgeworben, die sich mehrmals die Woche bei Xing oder LinkedIn melden.“ Deshalb müssen Unternehmen aktiv auf die jungen Leute zugehen, um sie nicht zu verlieren. „Es gilt, das Netzwerk auszubauen und aktiv zu rekrutieren.“ Und: Wer heute nicht digital präsent sei, existiere für die Millennials quasi gar nicht. „Bremerhaven muss zeigen, welchen Mehrwert und Nutzen die Stadt bietet, damit die digitalen Könner hier leben und arbeiten wollen.“

Wir müssen den Berliner Spirit in Bremerhaven leben.

Doch was wollen die jungen Leute? Multioptionalität. Die Generation Y wird nicht nur einen Zick-Zack-Lebenslauf haben – mit 6 bis 8 Stationen –, sondern will mal Vollzeit, mal Teilzeit arbeiten. Aus dem Homeoffice, aus dem Café. Vielleicht will man mal ins Ausland gehen, vielleicht wieder zurückkommen. Vielleicht einen kompletten Branchenwechsel erleben. Doch was jeder wahrscheinlich durchleben wird, sei die Selbstständigkeit. „Junge Leute haben Ideen und Wünsche im Kopf, doch sie haben wenig Möglichkeiten, wo sie sich mit anderen mal austauschen können – was es bedeutet, eine Idee zu haben und etwas auszuprobieren.“ Dafür müssten in einer Stadt Räume geschaffen werden. „Aber auch innerhalb von Weiterbildungssystemen müssen wir junge Leute viel intensiver darauf vorbereiten“, sagt Burkhart.

„Auch nicht-kommerzialisierte Räume“, sagt Ghadri. Das sei ein wichtiger Punkt. „Nicht jeder Gründer, der eine Idee hat und etwas umsetzen will, möchte damit sofort Geld verdienen und reich werden.“ Das sei nicht die höchste Motivation, die ein Gründer in sich trage. Aufgabe einer Stadt und einer Gesellschaft müsse es sein, nicht-ökonomisierte Räume zur Verfügung zu stellen, wo sich Gründer austauschen und ausprobieren können. Das gebe es in Deutschland viel zu wenig. Nur Berlin sei als Gründungsstandort so erfolgreich, weil die Stadt eine Zeit lang so günstig war. „Man ist richtig irgendwie untergetaucht. Hat andere Gründer aus verschiedenen Ländern getroffen. Alle sprachen Englisch. Und alle hatten einen Traum, eine Vision von einem Morgen“, so Ghadri. Das mache Gründer aus. „Und dann spielt es keine Rolle, ob am Ende Facebook daraus entsteht oder ein Restaurant.“ Genau dieser Spirit müsse auch in Bremerhaven weiter angefacht werden.

Überblick

Alle weiteren Veranstaltungen gibt es hier.
Website von Steffi Burkhart.

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