Foto: Kunstverein Bremerhaven

Kunst im Norden: Schritt für Schritt durch die neue Ausstellung

Happy Birthday: Das Kunstmuseum Bremerhaven wird zehn Jahre. Um das zu feiern, gibt es eine brandneue Ausstellung in Zusammenarbeit mit Museen und Galerien aus der Region. Ein einmaliges Projekt in Norddeutschland, von dem unsere Kunst-Insiderin Andrea berichtet.

Die Mühen der letzten Wochen haben sich gelohnt: Am 7. Oktober eröffnete endlich unsere Jubiläumsausstellung „Nord-West Zeitgenössisch“ im Kunstmuseum. Die wackeren Besucher, die den Weg trotz des Sturmes auf sich genommen hatten, gaben uns viele positive Rückmeldungen zum großen Gemeinschaftsprojekt.

Ein Blick in die neue Ausstellung

Nach all den Beiträgen über den Abschied der alten und der Vorbereitung der neuen Ausstellung, ist es nun an der Zeit, einen Blick auf das Ergebnis zu werfen: Was gibt es an Kunstwerken zu sehen? Die Kolleginnen und Kollegen aus unseren Partnermuseen haben sich nicht lumpen lassen und ordentlich Kunst nach Bremerhaven geschickt.

Jedes Haus hat ein bis zwei Räume im Museum mit seinen Sammlungsstücken ausgestattet. In Zahlen gesprochen sind es über 125 Kunstwerke von 77 verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern. Aber keine Panik, es folgt nun keine kunsthistorische Abhandlung aller Exponate, vielmehr lasse ich den Zufall entscheiden. Nach jeweils fünfzig Schritten durch die Ausstellungsräume gibt es ein kleines Spotlight zu dem Kunstwerk bzw. dem Ort, an dem ich gerade gelandet bin.

BERGES VS. WARHOL

Ein Schritt, zwei Schritte, drei Schritte… Los geht’s mit einer Umrundung der Skulpturen des Bremer Bildhauers Dietrich Heller. Fünfzig Schritte sind mehr als ich dachte.

Werner Berges, Sommermappe I-V, 1972, Landesmuseum für Kunst und Kultur (Foto: © Kunstwerke von Werner Berges, Foto: Kunstverein Bremerhaven)

So lande ich mit meinem fünfzigsten Schritt bereits im zweiten Ausstellungsraum vor einer Reihe von farbintensiven, silhouettenhaften Abbildungen leicht bekleideter Frauen. Der Künstler Werner Berges (*1941) sagt, dass in der Werbung vieles über das Bild der Frau verkauft wird. Recht hat er, finde ich. Man denke an die zahlreichen Werbeplakate mit Frauen in leicht erotischen Posen. Immerhin, Werner Berges (*1941) ist einer der bedeutendsten Pop Art-Künstler in Deutschland. Achtung! Nicht zu verwechseln mit dem amerikanischen Vertreter Andy Warhol, auch wenn ihre beiden Karrieren als Künstler den Anfang in der Gebrauchsgrafik fanden.

KILL BILL

Weiter geht’s in die erste Etage. Bereits im Treppenhaus treffe ich auf einen an der Wand lehnenden „Bretterhaufen“ von Heike Kati Barath. Das gegenüber hängende Werk von Harald Falkenhagen (*1956) mit dem Schriftzug „Das kann ich auch!“ wirkt fast wie ein spöttischer Kommentar. Ich betrete den Raum der Städtischen Galerie Delmenhorst, deren Sammlung vor allem durch die Zeichnung bestimmt wird.

Fünfzig! Ich stehe vor einer Art Zeichenmaschine Marke Eigenbau. An der Wand ist mit Bleistift in Großbuchstaben KILL BILL zu lesen. Im Zeitlupentempo dreht sich das Maschinchen um sich selbst und kritzelt dabei fortlaufend an die Wand. Ganz schön ungehörig im Museum einfach an die Wand zu malen, finde ich. Aus einem einfachen Regalbrett, einem Discokugelmotor, fünf gelb-schwarzen Staedler-Bleistiften und handelsüblichen Kabelbindern kreierte Frederik Foert (*1971) seine absurd scheinende Bastelei. Foert selbst findet übrigens, dass ein Museumsbesuch nicht zu ernst sein darf. Recht hat er, denn auch ich konnte mir ein Schmunzeln bei seinem Werk nicht verkneifen.

EIN SCHWIMMBECKEN IM MUSEUM

Ich verlasse Delmenhorst und betrete durch einen Vorhang einen abgedunkelten Raum. Im Vorbeigehen passiere ich den Film „Otjesd“ (russ. Weggang) des Videokünstlers Clemens von Wedemeyer (*1974) aus der Sammlung der Kunsthalle Bremen.

48, 49, 50: Mitten im Raum der Städtischen Galerie Bremen stellen sich mir Beton und Stahl in den Weg. Zwei ‚Miniatur-Architekturen‘ aus Backstein und glattem Beton, thronend auf Stahlgestellen von Joachim Manz (*1957). Besonders eine der Skulpturen zieht mich in den Bann. Ein Wasserbassin mit schräger Bodenfläche und Bodenmarkierungen wie man sie aus den Schwimmhallen kennt. Der Titel lautet „Wettkampfstätte 1“.

Die strenge architektonische Form und die graue Farbe des Betons haben auf mich eine kühle, fast distanzierende Wirkung. Zum vergnüglichen Plantschen würde ich wahrlich nicht in das Becken hüpfen. Das Wort ‚Kampf‘ beschreibt mein Gefühl beim Anblick schon eher. Keine Leiter führt hinaus. Einen einfachen Weg aus dem Becken scheint es nicht zu geben. Weg vom harten Beton geht mein Rundgang weiter, vorbei an den bunt umhäkelten Objekten von Boris Reihle (*1968), durch die Rauminstallation „Durchbruch durch Schwäche II“ der Künstlerin Alicja Kwade (*1979).

JETZT WIRD’S BLAU

Plötzlich springen mich blaue Wände an. Wie kann das im sonst so weißen Museum passieren? Das Team der Kunsthalle Wilhelmshaven schießt quer und streicht einfach mal unsere Ausstellungswände farbig an. Welch’ Revolution! Mit meinem fünfzigsten Schritt komme ich passenderweise zu „Die letzten 50 Fritten“ von Dieter Krieg.

Zufall oder Schicksal? Jetzt wird auch das Konzept des Raumes deutlich. So steht in großen weißen Lettern an einer Wand DÜSSELDORF, HAMBURG an der nächsten und an einer dritten BERLIN. Dieter Krieg (1937-2005) lehrte an der Düsseldorfer Kunstakademie. Ich drehe mich um, schaue auf BERLIN und entdecke ein Werk des dort lebenden Künstlers Georg Baselitz. Eine wunderbare Zuordnung einiger zeitgenössischer Größen der Kunst und ihrer Wirkungsorte. Die einzige Frage bleibt: warum blau?

BLACK BOX IM WHITE CUBE

Wer beim Betreten des zweiten Stocks nach Figuren und Formen sucht, der sucht vergeblich. Denn gleich den ersten Raum hat das Museum gegenstandsfreier Kunst aus Otterndorf bestückt. Nach einer Runde durch die bunte Welt der Gegenstandslosigkeit, lande ich vor einer von außen unscheinbaren Holzkiste von Markus Huemer (*1968). Der Titel der Arbeit lautet „Black Box“.

Beim genauen Betrachten fällt auf, dass an den Kanten etwas schwarze Farbe erscheint. Diese Beobachtung (plus der Titel) suggeriert uns, dass die Box von innen schwarz bemalt ist. Doch wer weiß, ob dies wirklich der Fall ist? Was sich im Inneren abspielt, bleibt offen. Vergleichbar mit Schrödingers Katze. Solange wir die Kiste nicht öffnen, ist beides gleichermaßen möglich. Wir stehen an der Grenzerfahrung von Sein und Schein. Nebenbei bemerkt, finde ich auch, dass einige Ausstellungstitel von Huemer einen gewissen Einfluss auf die Wahrnehmung ausüben. Oder was denkst du bei Titeln wie „Ich weiß nicht, was mein Galerist denkt, aber ich denke genauso.“, „Verschwenden Sie Ihre Zeit nicht mit Kunst!“, „Hätte auch wieder ein gutes Bild werden können.“ oder „Weitere 1127 Tage ohne erotischen Blickkontakt.“?

MIT LIEBE ZUM FAHRRAD

Gerhard Schreiter, Rennfahrer, 1960, Gerhard-Marcks-Haus (Foto: Kunstwerk von Gerhart Schreiter, Foto: Kunstverein Bremerhaven)

Fünfzig Schritte weiter werden bereits wieder Motive erkennbar. „Endlich wieder klassische Kunst“, wird bestimmt so mancher beim Betreten des Raumes mit Werken aus dem Gerhard-Marcks-Haus denken. Als leidenschaftliche Radfahrerin im Alltag sowie im Sport freue ich mich besonders, vor dem Werk „Rennfahrer“ von Gerhart Schreiter (1909-1974) zu stehen.

Ich finde es klasse, wie Schreiter es schafft, eine eigentlich schwere Bronze in eine leichtfüßige, fast schwebende Skulptur zu verwandeln. Aus der Ferne verschmelzen die Körper der Radfahrer zu einer verschlungenen Masse, erst aus der Nähe lassen sich einzelne Figuren ausmachen. Die Fahrradfahrer sind Schreiters Markenzeichen. Für ihn war das Fahrrad „eine der schönsten Erfindungen unserer Zeit, – ein Freund für tausend Situationen.“ Übrigens ist Schreiter kein Unbekannter in Bremerhaven. Am Elbinger Platz installierte er 1968 eine große Skulptur aus Beton und Stahl mit dem Titel „Memento maris“.

KARAOKE ODER WAS?

Die letzten fünfzig Schritte führen mich zu einem Raum, den man im ersten Moment nicht zu betreten wagt. Auf dem Boden liegen zahllose Kabel, zwei große Röhrenfernseher surren leise vor sich hin und bei dem Licht des grellen Baustrahlers muss ich kurz meine Augen zukneifen. Vor mir stehen zwei Mikrofone und einer der besagten klobigen Röhrenfernseher.

Erinnert zunächst an eine Karaoke-Maschine, doch auf dem Bildschirm läuft kein bekannter Songtext ab, sondern ein buntes Linienknäuel zittert leicht hin und her. Aus Neugier spreche ich „Test, Test, Test…1, 2, 3.“ in die Mikros. Das Knäuel weitet sich zeitgleich mit meiner Stimme explosionsartig zu eigenwilligen Liniengebilden aus. Es macht wahrlich Spaß, die Linien im TV-Bild springen zu lassen und mit ihnen zu spielen. Endlich mal interaktiv sein! Das Kunstwerk heißt übrigens „Participation TV Audio“ und stammt von dem Wegbereiter der Video- und Medienkunst Nam June Paik (1932-2006) aus der Sammlung der Kunsthalle Bremen. Zwar würde diese Technik heute wohl kaum noch jemanden vom Sofa reißen, doch für damalige Verhältnisse war die Arbeit revolutionär.

NEUGIERIG GEWORDEN?

Special-Infos gibt es jeden Freitag in Führungen mit den Kuratoren und Kuratorinnen der jeweiligen Museen und Galerien

 

27. Oktober – Dr. Jürgen Fitschen, Kunsthalle Wilhelmshaven
3. November – Dr. Arie Hartog, Gerhard-Marcks-Haus
10. November – Dr. Anna Heinze, Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg
17. November – Dr. Kai Kähler, Kunstverein Bremerhaven
24. November – Verena Borgmann, Kunsthalle Bremen

1. Dezember – Dr. Ulrike Schick, Museum gegenstandsfreier Kunst, Otterndorf
8. Dezember – Aneta Palenga, Städtische Galerie Delmenhorst
12. Januar – Dr. Ingmar Lähnemann, Städtische Galerie Bremen

Überblick

Nordwest zeitgenössisch:

  • Meisterwerke aus öffentlichen Sammlungen zwischen Jade, Weser und Elbe
  • Dabei: Städtische Galerie Delmenhorst, Gerhard-Marcks-Haus aus Bremen, Kunsthalle Bremen, Museum gegenstandsfreier Kunst aus Otterndorf, Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg, Städtische Galerie Bremen, Kunsthalle Wilhelmshaven, Kunstverein Bremerhaven

Ausstellungsdaten:

  • Laufzeit: 8. Oktober 2017 bis 14. Januar 2018
  • Öffnungszeiten: dienstags bis freitags 11 bis 18 Uhr samstags und sonntags 11 bis 17 Uhr
  • Preise: regulär 6 Euro, ermäßigt 4 Euro, Familien 10 Euro

Kontakt:

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Andrea

Über Andrea Fuest

Andrea ist immer in Bewegung, ob in ihren Laufschuhen, auf dem Crossbike oder auf Reisen am liebsten in Osteuropa. Ihr berufliches Treiben in der Kunstwelt ist zugleich ihre Leidenschaft, sodass Museums- und Ausstellungsbesuche auch im Urlaub und am Wochenende nicht fehlen dürfen. Als Ausgleich zum White Cube lebt sich die Möchtegern-Gärtnerin auf ihrem 2,5 Quadratmeter großen Mini-Balkon aus.

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