Foto: Nina Brockmann

2850: „Willkommen in der Havenkind-Familie“

„Jeder, der diese Stadt liebt oder sich in sie verliebt hat, ist ein Havenkind”, sagt Marc Eisele, der T-Shirts für genau diese Menschen macht. „Ich will den Zusammenhalt in der Region stärken. Weil ich selbst in Bremerhaven aufgewachsen bin, diese Stadt liebe und sie nie aus den Augen, geschweige denn aus dem Herzen verloren habe.” Und so geht es vielen. Kein Wunder, dass seine Shirts derzeit ziemlich angesagt sind.

Vor 14 Jahren ist Marc beruflichen Gründen nach Duisburg gegangen. Hat dort im Autoterminal der BLG gearbeitet, Prozesse übernommen, Abteilungen geleitet. In der „Weggehphase” hat er seine jetzige Frau kennengelernt. Für sie ist er die ersten fünf Jahre gependelt, jedes Wochenende nach Bremerhaven gefahren. „Als es dann um die Familienplanung ging, habe ich gesagt: ‚Entweder du kommst rüber oder wir lassen’s bleiben’. Ich wollte nicht in Bremerhaven ein Kind haben und in Duisburg arbeiten”, erzählt der 44-Jährige. Nach Bremerhaven zurückzukehren sei zu dem Zeitpunkt noch keine Option gewesen. „Karriere ging damals vor. Aber seitdem der kleine Scheißer da ist, ist mir Karriere völlig egal. Er ist mein Ein und Alles.”

Heute ist Jonas sechs Jahre alt. Wurde im Sommer in Bremerhaven eingeschult – seit Juli sind die drei zurück in der Heimat. „Wir haben beschlossen: Jetzt machen wir den Cut. Egal, was das für finanzielle oder karrieretechnische Rückschritte sind”, erzählt Marc. In Wulsdorf haben sie sich eine kleine Wohnung genommen – für den Übergang. „Meine Frau Bianca hat in diesem Stadtteil ihre Wurzeln”, sagt er. „Wir wollen uns in Ruhe nach einem Häuschen umsehen. Aber das ist Zukunftsmusik. Wir lassen erstmal alles auf uns zukommen.”

„Geht los“ war der Beginn von Havenkind an der Wasserski-Anlage in Duisburg. (Foto: Marc Eisele)

Als „Ausgleichsjob” hat Marc an einer Duisburger Wasserski-Anlage gearbeitet – als Wasserski- und Wakeboardlehrer. Dort ist im weitesten Sinne auch die „Havenkind”-Idee enstanden. Ursprung ist ein Shirt mit dem Motiv einer Wakeboard-Hantel, darunter steht: „Geht los”. „So beginnt die Geschichte, wie ich zum T-Shirt-Druck gekommen bin”, sagt Marc, Seitdem ist circa ein Jahr vergangen.

Zurück zum Anfang: Einer von Marcs Wakeboard-Schülern, Arkadius Wilczek, ist Physiotherapeut, betreut auch behinderte Menschen. „Meine Intention war schon immer, dass auch behinderte Menschen diesen tollen Sport – mit dem Kneeboard – erleben können. Und Arkadius hat mit einem Ärzteteam eine Therapieform dafür entwickelt – Physiotherapie on board (PhoB). Da hat er mich gefragt, ob ich ihn unterstützen könnte”, erzählt Marc rückblickend.

Finanzielle Hilfe für neuen Lebensmut

Bald hatte er einen Patienten, Lennart heißt er, der durch einen Motorradunfall querschnittsgelähmt ist. Lebensmut verloren hat. „Dann haben wir versucht, ihn aufs Wasser zu bringen, was ihm unglaublich viel Spaß gemacht hat. Denn du hast beim Wasserski eine Geschwindigkeit, die dir viel schneller vorkommt, als es in Wirklichkeit ist”, sagt Marc. Es gibt ein Video von diesem jungen Mann, da bekomme er immer Gänsehaut:

„Ich wollte ihm nicht nur aufs Wasser helfen, sondern auch finanziell was tun. Nun bin ich nicht gut betucht, deswegen habe ich mir Gedanken gemacht, wie ich Geld sammeln kann, um Lennart zu unterstützen”, so Marc. Dadurch kam er auf die Firma „Seedshirt”, wo man sein eigenes Label entwerfen und promoten kann. Ab einer gewissen Stückzahl wird es gedruckt und verschickt. „Ist aber ’ne Schweine-Firma”, regt sich Marc auf. Es sei dennoch eine gute Summe zusammengekommen, weil sich auch verschiedene Wasserski-Anlagen beteiligt haben. „Den Erlös von den Shirts habe ich gespendet, damit Lennart sich Wasserzeit kaufen kann”, so Marc.

Lennart kommt aus der Nähe von Dortmund. Den schrecklichen Motorradunfall hatte er in Otterndorf, wo er seine Eltern auf einem Zeltplatz besuchen wollte. Seitdem ist er ab dem dritten Lendenwirbel querschnittsgelähmt. „Da muss auch immer jemand begleitend mitfahren, falls er umkippt und in Panik gerät”, sagt Marc. Das nehme sehr viel Zeit, und damit eben auch Geld, in Anspruch.

Zwischen Wasserski, Arbeit und Shirtdruck

So ist Marc gemeinsam mit Kumpel Michael von der Wasserski-Anlage, der hauptberuflich Werbedesigner ist, zum Shirtdruck gekommen. „Wir haben uns geärgert, dass in Anführungsstrichen wenig Geld zusammengekommen ist. Wir waren der Meinung, es hätte mehr sein können. Aber Seedshirt hat sich 75% selber eingesteckt. Das wollte ich nicht akzeptieren und habe angefangen, mich zu informieren, wie T-Shirts gemacht werden.” Wochenlang habe er im Internet recherchiert, Youtube-Videos geguckt, Rezensionen gelesen. „Meine Frau hatte schon so’ne Krawatte”, lacht er.

Siebdruck: Mit dieser Maschine entstehen die Havenkind-Shirts. (Foto: Nina Brockmann)

Schließlich hat er sich für den Siebdruck entschieden und gemeinsam mit Michael entsprechende Maschinen gekauft. „Für mich hatte sich herauskristallisiert, dass Siebdruck zwar ein sehr, sehr altes Verfahren, aber qualitativ sehr hochwertig ist.” Neben Wasserski und Arbeit habe er sich ausschließlich noch damit beschäftigt. Als sie dann angefangen hätten, ihre eignen Shirts zu bedrucken, ging zunächst alles schief. „Nichts hat funktioniert. Von zehn war vielleicht mal ein Shirt in Ordnung. Aber so bin ich halt. Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, dann will ich es probieren. Ob ich es schaffe oder nicht, ist eine andere Sache.”

Das fängt bei der Qualität der T-Shirts an und hört bei der Auswahl der richtigen Farbe auf. Ganz abgesehen von Trockenzeit, Waschvorgängen und dem Siebdruck an sich. „Mit allen möglichen Sachen habe ich gekämpft. Und es ist grundsätzlich erstmal alles in die Hose gegangen”, erzählt Marc. Dann waren sie kurz davor aufzugeben. den „Rotz zu verkaufen”. Da kam Weihnachten. Zu einer Revival-Party im Kühlhouse wollte Marc unbedingt etwas „heimisches” tragen. „Alle wussten, dass ich Bremerhaven vermisse. Ich war immer Bremerhavener. Und wenn ich für’s Wochenende nach Hause gekommen bin, dann habe ich nicht bei Facebook gepostet ‚Ich bin jetzt hier’, sondern nur ‚2850’ – die alte Postleitzahl von Bremerhaven. Und jeder wusste: Ich bin zu Hause”, sagt Marc stolz. „Das hat sich so eingebürgert.”

Das alte Bremerhaven

Mit diesem Vorhaben hat er sich mit Michael hingesetzt, ein Logo entworfen und ein Shirt damit bedruckt. Fest stand: „Es muss Havenkind drauf stehen. Ich will einen Anker haben. Und die 2850 darf nicht fehlen.” Die Farben Schwarz auf Grau hat Marc gewählt, weil es früher immer „cool” gewesen sei, ein graues Shirt von den Amis zu kriegen, wo in schwarz „Army” draufstand. „Das war immer so ein Zeichen: Ich habe einen amerikanischen Freund und der hat mir das T-Shirt geschenkt. Du konntest es nirgendwo kaufen, musstest es wirklich von einem Soldaten bekommen”, so Marc. Mittlerweile bietet er auch andere Farben an. „Aber nur aufgrund des Drucks von anderen.”

Vor der Wende, bevor die Maueröffnung kam, hatte Bremerhaven nur eine einzige Postleitzahl: 2850. Die fünfstelligen Postleitzahlen sind mit den neuen Bundesländern gekommen. „Das ist das alte Bremerhaven. Wo ich noch in Lehe gewohnt habe. Wo die Amis da waren. Wo wir abends durch die Alte Bürger gezogen sind, es das Madhouse und das Enterprise gab. Es ist das alte Bremerhaven, wo wir jung waren.”

Am 25. Dezember 2016 hat er sein Werk schließlich ausgeführt. „Und jede Sau hat mich darauf angesprochen. Es war unglaublich.” Keiner habe ihm geglaubt, dass er es selbst bei sich im Keller gedruckt hatte. „Mach‘ mir auch mal eins”, waren dann die Worte des Abends für Marc. Nur für den Materialwert habe er dann also weitere Shirts bedruckt und an seine Freunde in ganz Deutschland verschickt. „Dann hat es einer bei Facebook gepostet und es kamen wieder welche. Ich so: ‚Alter, seid ihr nicht ganz dicht?’ Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, dass es irgendwie ein Hype werden könnte. Das war nie meine Intention.”

Als Marc im Juli zurück nach Bremerhaven gezogen ist, hat er sich im Keller eine kleine Werkstatt eingerichtet und ein Kleingewerbe angemeldet. Auch das Logo habe er rechtlich schützen lassen. Genau wie die Anschaffung der Maschinen habe das sehr viel Geld gekostet. „Und ich habe auch jemanden, der sagt: ‚Lass das sein. Ich will das nicht. Du schmeißt nur Geld raus.’ Und das ist meine Frau”, schmunzelt Marc. Sie stehe aber mittlerweile auch voll dahinter. Um das „Havenkind-Gedöns” habe sich dann unbewusster Weise „eine Art Mysterium” aufgebaut, erzählt Marc weiter. „Es gab Leute, die sind von Shop zu Shop gerannt und wollten unbedingt diese Shirts haben.”

Ein Stück Bremerhaven. Ein Stück Zusammenhalt.Marc Eisele

Bine und Olaf Häusler im Havenkind-Shirt am Gipfelkreuz in Tirol. (Foto: Privat)

Was ihn daran vor allem sehr fasziniere sei: „Die Leute erzählen mir ihre Geschichten.” Niemand kaufe das Shirt „einfach so”. „Die einen wollten unbedingt ein Shirt, um es der Freundin in Amerika zum Geburtstag zu schenken. Ein anderes Pärchen wollte die Shirts mit in den Urlaub nach Österreich nehmen, dort einen Berg besteigen, um – oben angekommen – ein Foto zu machen.” Und genau das sei der Punkt, der ihn so stolz mache. „Ein Stück Bremerhaven. Ein Stück Zusammenhalt.” Jeder meckere über Bremerhaven, aber auf einmal will jeder dieses T-Shirt haben. „Sie identifizieren sich damit.”

Eine Website werde es erstmal nicht geben. „Ich will nicht so groß werden”, sagt Marc. „Es ist ein Hype und man muss sehen, wie sich das entwickelt. Ich setze nicht meine ganze Energie auf Havenkind, will damit nicht reich werden – das ist zu null Prozent meine Intention.” Er wolle lediglich den Zusammenhalt in Bremerhaven fördern und sagen: „Das sind wir.” Deswegen schreibe er auch jedem Kunden noch einmal, sobald der Kauf angeschlossen ist. Erst ob alles in Ordnung ist. Dann seinen immer letzten Satz: „Willkommen in der Havenkind-Familie.”

ÜBERBLICK

Havenkind
Ein T-Shirt kostet 20 Euro und ist hier erhältlich:
Facebook @havenkind
oder per Mail an [email protected]

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Nina

Über Nina Brockmann

Foodie, Yogi und reiseverrückter Lifestyle-Junkie. Kann ohne Kaffee, Avocados und Lachen nicht leben. Steht auf Melancholie, aber nicht auf Mädchenkram wie Kleider oder Nagellack. Nur ohne Lippenstift geht sie äußerst selten aus dem Haus. Auch für Flechtfrisuren hat sie ein Faible.

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