Foto: Adobe Stock, Montage: Lena Gausmann

Nina doing things: Warum Aussperren zum Einleben gehört

Dass der erste Blogpost meiner neuen Serie „Nina doing things” dieser hier werden würde, hatte ich so nicht geplant. Eigentlich soll es nämlich darum gehen, über Dinge zu schreiben, die ich ausprobiere, die ich unternehme, die ich erlebe. Und darum, was ich dabei fühle, denke und wenn’s gut läuft: lerne. Und ja, erleben und lernen treffen auf diese Geschichte, die ich gestern erlebt und gleich aufgeschrieben habe, sogar zu: Ich habe mich ausgesperrt. Was mich ’ne Menge nerven gekostet hat, aber am Ende ein einmaliges Erlebnis war.

Es ist halb 12. Der Handwerker, der mir am Morgen mein WLAN-Anschluss verlegt hat, hat meine neue Wohnung gerade verlassen und staubige Luft sowie ’nen Haufen Müll hinterlassen. Ich war währenddessen mit meiner Freundin frühstücken, um von dem ganzen Chaos möglichst wenig mitzukriegen. Bis hier hin: Alles entspannt. Alles gut. Ich beschließe, noch vor meinem Weg ins Büro, den groben Dreck zu beseitigen. Ich reiße also mein Wohnzimmerfenster komplett auf, um dem Staub „Lebewohl” zu sagen und fege derzeit den Müll auf. Der Beutel ist voll, mein Müllschlucker direkt vor meiner Wohnungstür im ersten Stock. Ich stopfe den großen Beutel durch die kleine Öffnung, als es plötzlich knallt und ich mit leeren Händen dastehe. Aber nicht nur ohne Müllbeutel, sondern auch ohne Handy, Geld oder Schlüssel – für meine Tür, die mir durch einen großen Luftstoß den Zugang zu meiner Wohnung verwehrt.

Was nun? Mama anrufen. Der Mensch, dem ich immer als erstes mein Leid klage. Ich stürze also durch zwei weitere Eingangstüren, für die ich keinen Schlüssel habe, runter in die dunkle, rauchige Kneipe, die sich unten in meinem Wohnhaus befindet. Jeden Abend mache ich eher einen großen Bogen um diesen Ort. Irgendwie unheimlich, diese Menschen, die hier schon mittags ihr erstes Bier trinken. Aber heute ergibt sich mir ein anderes Bild. Die Frau hinter dem runden Tresen direkt in der Mitte des Lokals lässt mich sofort und ohne Murren meine Mama anrufen. Mama wiederum versucht für mich, die Hausverwaltung zu erreichen. Diese ist zum Glück nur einige Häuserblöcke entfernt und hat einen Ersatzschlüssel. „Ach ne, doch nicht”, erfahre ich, als ich gestresst dort ankomme. Die Dame am Empfang ruft den Hausmeister an. Er hat einen Generalschlüssel, ist aber in Lunestedt und hat keine Zeit – oder keinen Bock – herzukommen. Sie kann mir nicht weiterhelfen, es gibt keine weiteren Schlüssel.

Es ist verzwickt

Eigentlich habe ich einen bei meinen Eltern deponiert. Ärgerlich nur, dass ich ihn gerade dieses Wochenende wiederhaben wollte, um beim Deichbrand zwei zu haben. falls Lena – die bei mir übernachtet hat – früher als ich zu mir nach Hause gewollt hätte. Es ist verzwickt. Wo mein dritter Schlüssel steckt, fällt mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ein. Wohl irgendwie weg.

Zurück in der Kneipe gönne ich mir ein Wasser, obwohl mir auch nach Bier ist. Erstmal aufs Haus. Dann stattet mich die Bedienung mit zwei scharfen Küchenmessern und einer goldenen Kreditkarte aus. „Die ist nicht echt. Die kannste nehmen.” Zum Glück hat sie einen Generalschlüssel für die unteren beiden Türen, was mir den Zugang zu meiner Wohnungstür ermöglicht. Ich erinnere mich an all die ach so faszinierenden Filme, die ich schon gesehen habe, wo der Einbruch mit einer Bankkarte locker flockig klappt. But: dream on. Auch mit Messerspitze im Schloss und Tritt gegen die Tür wird das nichts. Den Schlüsseldienst in unmittelbarer Nähe habe ich auch abgeschrieben. Auf dem Rückweg von der Hausverwaltung lag zum Glück einer. Der war unfreundlich und wollte 70 Euro für den Scheiß haben. „Das Geld hab‘ ich nicht”, maule ich, als ich leicht beleidigt den Laden verlasse. Es hätte so einfach sein können.

Zurück in der Kneipe lerne ich Peter kennen. Peter wohnt schräg gegenüber, wie sich später herausstellen würde. Er war oder ist Polizist, erzählt mir zumindest die Kellnerin und weiß, wie das geht mit dem Türaufbrechen. Wir packen noch ein normales, stumpferes Küchenmesser ein und versuchen unser Glück zu zweit. Fehlanzeige. Er ruft seinen Kneipen-Kumpel an, der mal beim Schlüsseldienst war. „Der steckt in Bremen fest.” Alleine bekommen wir es nicht hin und kehren wieder in die Bar ein. Auch sein anderer Kneipen-Kumpel, ein Security-Magger ist, kann uns gerade nicht helfen. Wir starten einen gemeinsamen zweiten Versuch mit einem Schraubenzieher aus der Kneipen-Küche, doch er scheitert.

Wir haben einen Deal

Zurück in der Kneipe, zurück am Telefon mit meiner Mama. „Hol den Schlüsseldienst”, sagt sie. „Scheiß auf das Geld.” Und sie hat (mal wieder) Recht. Da Zeit bekanntlich auch Geld ist, mache ich mich mit einer weiteren Flasche Kneipen-Wasser auf den Weg und finde nur einen jungen, wie sich herausstellen wird auch unerfahrenen, Typen vor, der den Laden eigentlich nicht verlassen soll, bis sein Chef wieder da ist.

Ich bezirpse ihn, ich hab’s nötig. Wir kleben ein „Bin gleich wieder da”-Schild an die Tür, nachdem er gefühlte fünf Stunden lang seine Tasche für unsere Mission gepackt hat. Geld habe ich auch nicht, gestehe ich ihm. Erst, sobald wir in der Wohnung sind und dann auch nur eine Anzahlung. „Den Rest bringe ich dir auf dem Weg zur Arbeit.” Wir haben einen Deal.

Die Kellnerin lässt uns wieder zu meiner Wohnungstür. Und dann kann ich gar nicht begreifen, was ich da gerade sehe: Der Typ macht meine Tür kaputt! Mit Schraubenziehern bohrt er da doch gerade tatsächlich zwei dicke Löcher zwischen Tür und Rahmen. What the fuck? Ich frage ihn, was er da macht. „Ist ziemlich eng”, gesteht er. Ach, das habe ich auch schon gemerkt. Ich bitte ihn, jede weitere Tat zu unterlassen. „Dann darf ich auch noch eine neue Tür bezahlen”, sage ich zum ihm. Dann zieht er von dannen.

Strahlende Augen

Zurück in der Kneipe fällt mir ein, wer meinen dritten Schlüssel hat: Der Handwerker, der jeden Tag etwa für zehn Minuten reinkommt, um meine Küche aufzubauen, die zwei Wochen nach unserem Deal noch immer nicht fertig ist. Ja, ich hab’s mit Deals. Mein Handy – und damit seine Nummer – habe ich leider nicht. Erneuter Anruf bei meiner Mama. „Ah, die Nummer kenne ich schon”, begrüßt sie mich am Kneipentelefon. Dann diktiert sie mir die Nummer. Besetzt. Wieder besetzt. Und nach zehn Minuten erreiche ich ihn immer noch nicht. Mittlerweile ist es halb eins und ich wollte schon längst auf der Arbeit sein.

Peter sitzt inzwischen im Außenbereich der Kneipe bei seinen Kumpels. Ich hatte gerade beschlossen, einfach „nackig” zur Arbeit zu laufen und erstmal was zu schaffen. Abends würde ich entweder den Hausmeister oder den Handwerker mit meinem Dritt-Schlüssel schon irgendwie erreichen. Ich will mich gerade verabschieden („Die Getränke zahle ich heute Abend, danke für alles” und so weiter). Ich verabschiede mich auch bei Peter. In dem Moment bemerke ich, dass doch mein Wohnzimmerfenster komplett geöffnet ist.

Meine Augen strahlen. Peters Augen strahlen und auch die der Kellnerin, die sich mittlerweile draußen zu uns gesellt hat. „Na dann, nichts wie los und im ersten Stock bei den Nachbarn klingeln”, spricht Peter mir zu. Ich betrete das Haus nebenan und klingele im ersten Stock des Schuhgeschäftes. Und gerade als ich fast keine Hoffnung mehr hatte, dass diese Tür je aufgehen würde, begrüßt mich eine verwirrt dreinschauende Schuhverkäuferin, der ich auch noch sagen muss: „Ich müsste einmal durch ihr Fenster steigen. Ich wohne nebenan und habe mich ausgesperrt.”

Hey, everything will be okay.

Sie hilft mir also über die Fensterbank durch das offene Fenster auf die Feuerleiter zu gelangen, die mich dann – als gebe es nichts selbstverständlicheres in meiner kleinen, mich gerade abfuckenden Welt – zu meinem offenen Wohnzimmerfenster führt. Peter und die nette Dame jubeln von unten. Und ich fühle nichts. Außer, dass ich nichts weiß, ob ich gerade lachen oder heulen soll. 2,5 Stunden, gefühlt eine Million Nerven und die Lösung ist doch so simpel. Dennoch: Ich danke meinem Müllschlucker für diesen Vormittag, an dem ich gelernt habe, dass 1. (was ich schon wusste) meine Mama die Beste ist. 2. Ich sehr, sehr nette Nachbarn habe, vor denen ich mich nicht fürchten muss (und Vorurteile kacke sind) und 3. ich unbedingt mal eine Runde in der Kneipe ausgeben muss.

Denn das Süßeste kommt ja fast noch: Zurück in der Wohnung habe ich es eilig, weil ich ins Büro muss. Ich greife also nur meine Handtasche und suche noch nach einem Dankeschön, dass ich in der Kneipe abgeben kann. Das einzige, was ich da habe, ist eine Sektflasche in meinem Kühlschrank. Ich stelle sie der Frau auf die Theke und will meine zwei Wasser bezahlen: „Du brauchst hier gar nichts bezahlen, Mädel”, sagt sie. „Du hast heute schon so viel durchgemacht, es ist alles gut.”

Die Flasche Sekt möchte sie auch nicht annehmen. Wir stellen sie gemeinsam bei Peter und seinen beiden Dudes auf den Tisch. „Die trinken wir gemeinsam”, sagen sie und wollen meine Nummer haben. Noch am selben Abend schreibt Peter mir – ich kann mich kaum halten: „Hey Nina, hier ist dein unglücklicher Türöffner”. Wie süß. Er wohne schräg gegenüber, schreibt er. „Den Sekt trinken wir gemeinsam, wenn du Zeit hast.” Am Montag hätte er Zeit (haha!). Ich finde das süß. Und ich werde das tun. Solche Bekanntschaften sind witzig. Und irgendwann vielleicht auch nochmal wichtig. Aber fest steht: Ich nehme auf jeden Fall meine Mama mit.

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Nina

Über Nina Brockmann

Foodie, Yogi und reiseverrückter Lifestyle-Junkie. Kann ohne Kaffee, Avocados und Lachen nicht leben. Steht auf Melancholie, aber nicht auf Mädchenkram wie Kleider oder Nagellack. Nur ohne Lippenstift geht sie äußerst selten aus dem Haus. Auch für Flechtfrisuren hat sie ein Faible.

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