Foto: Arnd Hartmann

Unter Gladiatoren

„Hut“, brüllt der Quaterback. Ich renne los, so schnell ich kann. Ein paar Schritte nach vorne, dann scharf nach links. Schon habe ich den Football vor Augen. Er landet genau an der Stelle, an der er landen soll. Allerdings nicht in meinen Armen, sondern auf dem Boden. Ich bin zu langsam. Nicht zum letzten Mal an diesem Tag.

American Football kannte ich bisher nur aus dem Fernsehen. In den vergangenen Jahren ist auch hier ein kleiner Hype um den Super Bowl ausgebrochen, Freunde von mir schauen regelmäßig Spiele. Und ich frage mich jedes Mal: Warum? Eine Partie dauert Stunden und wird andauernd unterbrochen. Die Spielregeln und Züge sind mir ein Rätsel geblieben. Genau das will ich ändern. Ich will die Begeisterung für diesen mysteriösen Sport verstehen – und habe mich deshalb einfach mal beim Football-Training selbst eingeladen.

Die Breiten Kerle und Ich

Und jetzt stehe ich also bei den Seahwaks in Bremerhaven auf dem Spielfeld. Eine gute Adresse, handelt es sich doch um den zweitältesten noch existierenden Football-Club Deutschlands. Schon beim Betreten des Platzes neben dem Nordsee-Stadion wird mir klar: Das wird hart. Um mich herum lauter große und breite Kerle, die in ihrer Ausrüstung ein bisschen furchteinflößend wirken. Dazwischen ich eher schmale Frau. Aber als ich dann auch Schulterschutz, Trikot und Helm bekomme, fühle ich mich zumindest zeitweise nicht mehr komplett fehl am Platz.

Nach einigen Aufwärmübungen geht es los, und ich darf mich als Receiver, als Passempfänger, versuchen. Meine Aufgabe ist es, den vom Quarterback geworfenen Ball zu fangen. Immer wieder bauen meine Mitspieler mit kleinen Hütchen die Strecken auf, die wir laufen sollen, um genau zum richtigen Zeitpunkt zum richtigen Punkt zu gelangen. Denn es gilt ja auch, die Gegenspieler auszumanövrieren, die mit aller Macht versuchen, den Pass zu verhindern. „Das Timing zwischen Quarterback und Receiver ist entscheidend“, erklärt mir Andreas Sosinski, einer der Coaches der Seahawks.

Die Sache mit dem Timing

Ich glaub ihm das. Muss aber leider feststellen: Irgendwas stimmt mit dem Timing nicht. Das liegt vermutlich weniger am Quarterback als an mir. Jedenfalls klappt es nicht wie geplant. Mal laufe ich dem Ball vergeblich hinterher und er prallt zehn Meter vor mir auf den Boden. Dann streife ich ihn zumindest mit den Fingern. Aber fangen? Fehlanzeige.

Es sieht einfacher aus, als es ist. Ehrlich. (Foto: Arnd Hartmann)

Wir trainieren einen Passlauf nach dem anderen. Mal laufen wir fünf, mal zehn Yards, mal machen wir einen scharfen „Cut“, mal laufen wir im 45-Grad-Winkel weiter. In den anderen Ecken des Spielfelds sehe ich die Spieler anderer Positionen trainieren: die Running Backs, die Linebacker, die Offensive Line, die Cornerbacks. Ich verstehe gerade einmal, wer zur Offensive und wer zur Defensive gehört, doch welche Aufgaben die Positionen genau haben, bleibt mir schleierhaft.

„Jede Position hat ihre eigene taktische Aufgabe. Ich muss mich auch darauf verlassen können, dass mein Nebenmann auf dem Feld seine Rolle erfüllt“, erklärt Coach Marco Monsees. Und Andreas Sosinski ergänzt: „Das erste Footballspiel, das ich gesehen habe, fand ich total langweilig, weil ich es nicht kapiert habe. Wenn man ihn erst einmal versteht, ist es der tollste Sport, den es gibt.“

Wenn man ihn erst einmal versteht, ist es der tollste Sport, den es gibt.
Coach Andreas Sosinski

Das finden zumindest die US-Amerikaner. Dort ist Football die beliebteste Sportart. Den Super Bowl, das Finale der US-Profiliga National Football League (NFL), verfolgen jedes Jahr rund 110 Millionen Menschen Das ist rund ein Drittel der Bevölkerung der USA. In der Halbzeitshow treten Stars wie Madonna, Justin Timberlake, Lady Gaga oder Beyoncé auf, und Unternehmen zahlen rund fünf Millionen Dollar für einen 30-Sekunden-Werbespot. Ein riesiges Spektakel.

In Deutschland hält sich die Begeisterung in Grenzen. Zwar steigen die Mitgliederzahlen des American Football Verbands Deutschland (AFVD) seit Jahren, doch richtig Fuß fasst die Sportart hier nicht. In rund 450 Vereinen mit insgesamt 63000 Mitgliedern wird heute in Deutschland American Football gespielt.

Coach Andreas Sosinski gibt mir Tipps. (Foto: Arnd Hartmann)

Von meinen Mitspielern der Bremerhaven Seahawks habe ich mittlerweile Tipps bekommen. Die Finger soll ich spreizen. Kommt der Ball oberhalb der Hüfte zu mir, gilt es, die Spitzen der Daumen zusammenzubringen. Kommt der Ball unterhalb der Hüfte zu mir, sollen sich die Spitzen der kleinen Finger berühren. „Und keine Schreibmaschinenfinger“, ruft mir jemand zu.

Am Ergebnis meiner Fangversuche ändert sich jedoch trotzdem nichts. Als ich langsam aus der Puste komme und meine Finger schon wehtun, kommt es zum Höhepunkt des Tages: Ich laufe los, mache einen scharfen Knick und fange den ersten und einzigen von sicherlich 30 Würfen. Dass der Ball mir nur aus reinem Zufall direkt in die Arme geflogen ist, ist mir egal. Die anderen Receiver und Trainer freuen sich mit mir, rufen mir zu. Vor lauter Euphorie bekomme ich nicht einmal mit, was.

Es kann auch mal Wehtun

Dass meine Zukunft beim American Football liegt, glaube ich trotzdem eher nicht. Zum einen, weil der nächste Wurf wieder fünf Meter vor mir auf dem Boden landet. Zum anderen, weil ich mich all die durchtrainierten Männer, die auf dem Spielfeld richtig zur Sache gehen, doch etwas einschüchtern. „Es ist eben ein Kontaktsport“, sagt Coach Marco Monsees. „Man muss sich da im Klaren sein, dass es auch mal wehtun kann.“ Er erzählt mir, dass die meisten der Seahawks nicht nur zwei Mal die Woche zum Training kommen, sondern zusätzlich noch zwei bis drei Mal die Woche im Fitnessstudio an Kraft und Ausdauer arbeiten. „Es ist ein sehr aufwendiger Sport“, sagt Marco Monsees. „Es ist ein Sport für jedermann, aber es ist kein Sport, den man nebenbei macht.“ Für jeder Mann also. Gibt es überhaupt Frauenteams im American Football? „Die sind selten“, sagt Marco Monsees. „Es ist halt ein Gladiatorensport. Für Männer, die sich beweisen wollen.“

Es ist halt ein Gladiatorensport. Für Männer, die sich beweisen wollen.
Marco Monsees