Foto: Anja

Reif für die Insel

Ich nehme mit auf eine einsame Insel: mein Fahrrad, einen Schlafsack und ein Zelt. 14 Kilometer Sandstrand, dahinter nur noch das Meer. Da bin ich nun gestrandet auf Langeoog. Es ist sogar ein bisschen einsam hier, wenn man denn möchte. Dass ich reif für die Insel bin, war mir knapp 24 Stunden zuvor, als ich gerade meine Fahrradtaschen packte, noch gar nicht klar. Mein Ziel war: Ich habe kein Ziel. Vier Tage lang einfach drauf los radeln, immer an der Küste entlang.

Frühjahr: Am Freitagnachmittag geht es für meinen Freund und mich los. Erst mal auf „die andere Seite“ rüber. Für alle Nicht-Bremerhavener: Damit ist nicht etwa der Atlantik gemeint, sondern nur die etwa drei Kilometer Wasser zwischen dem Fähranleger Bremerhaven und der anderen Weserseite bei Nordenham (Blexen).

Der Weg ist das Ziel

Dort angekommen, wollen wir uns den großen Bogen über Butjadingen und Tossens sparen und peilen direkt auf gleicher Höhe den Jadebusen an. So zumindest die Theorie. Nach einiger Zeit auf dem Fahrrad taucht dann plötzlich der Deich wieder in Sichtweite auf. Der Jadebusen kann es aber noch lange nicht sein. Ein erster Blick aufs Handy zeigt, wir sind dann doch Richtung Norden statt Westen gefahren. Tja, das Meer lässt einen eben nie los. Nachdem mein Freund und ich geklärt haben, wer an dem Umweg schuld ist, natürlich er, geht es in neuer Fahrtrichtung weiter.

Idyllisch zeigt sich die Wesermarsch. Wir kommen durch kleine Dörfchen mit Reetdachhäusern. Die Fahrradwege sind gut ausgeschildert. Trotzdem versichern wir uns nun ab und zu über das Handy, ob wir wirklich noch auf dem richtigen Weg sind. Nach über 30 Kilometern haben wir das Wasser erreicht. Der Wind sorgt bei dem sommerlichen Wetter zwar für Abkühlung auf dem Rad, macht das Vorankommen aber nicht gerade einfacher. Irgendwie hat man an der Küste ja auch immer Gegenwind.

Nach guten 60 (Halb-)Tageskilometern haben wir Dangast am Abend erreicht. Noch vor einem wunderschönen Sonnenuntergang steht das Zelt. Den genießen wir bei einem kleinen Konzert an einer Strandbar. Mir ist der Ort schon nach den wenigen Stunden zu touristisch, heißt umgekehrt aber auch, er hat anscheinend einiges für seine Gäste zu bieten. Wer also keine Menschenmassen scheut, kann dort sicher ein paar schöne Tage genießen.

Am nächsten Morgen geht es weiter, immer an der Wasserkante entlang. Und ja, auch bei dieser Taktik kann man sich verfahren. Wir radeln durch Schafsherden und freuen uns über jeden noch so kleinen Abschnitt mit Rückenwind. Wir fahren einfach immer weiter und plötzlich liegen 80 Kilometer hinter uns. Vor uns Langeoog, wir sind im Hafen von Bensersiel gelandet, 15 Minuten, bevor an diesem Tag die letzte Fähre zur Insel ablegt. Um 17:30 Uhr sitzen wir kurzentschlossen an Bord.

Land in Sicht

Nach der kurzen Überfahrt im Hafen angekommen, steigen wir in die bunte Inselbahn. Sie fährt uns in den Ortskern. Nun heißt es, erst einmal einen Platz zu finden, um unser Zelt aufzuschlagen. Wir erfahren von einer Jugendherberge mit Zeltplatz etwas außerhalb. Also wieder rauf auf die Fahrräder. Wir sind überrascht, wie groß Langeoog doch ist. Und mindestens genauso überrascht, dass die Jugendherberge geschlossen ist. Einen anderen Campingplatz gibt es nicht, also schlagen wir unser Zelt trotzdem dort auf. Zum Glück hat wenigstens der Supermarkt noch auf. Wir decken uns mit alkoholfreiem Bier und Dosenfutter ein und genießen unseren ersten Abend bei einem wunderschönen Sonnenuntergang am Strand.

Am nächsten Tag erkunden wir mit unseren Fahrrädern die Insel. Autos sind auf Langeoog zum Glück verboten. Am Ostende beobachten wir aus der Ferne, wie sich die Seehunde sonnen. Etliche Fasane kreuzen unseren Weg, während wir durch die hügeligen Dünen spazieren. Natürlich nur auf den Wegen, das Betreten der Dünen ist zum Schutz der Natur nämlich verboten. Ich bin überrascht von der Landschaft, sie erinnert mich direkt an die Lüneburger Heide.

Im Ortskern gibt es neben dem besagten Supermarkt, der übrigens jeden Tag geöffnet hat, viele Geschäfte, die jede Menge Tüdelkram anbieten. Öffnungszeiten scheinen hier aber eher Nebensache zu sein. „Morgen lassen wir zu, weil wir heute schon auf hatten“ – das nennt man wohl Inselgelassenheit. Plötzlich wird es unruhig, die Gastronomen räumen ihre Außensitzbereiche. „Ein Sturm zieht auf.“ Also lassen wir uns in einem der vielen Bars nieder und warten bei veganen Burgern, bis das Schlimmste vorüber ist.

Dann zieht es uns sofort an den Strand. Es ist weit und breit keine Menschenseele zu sehen, während am Horizont die Blitze ins Meer schlagen. Das war sicherlich einer der schönsten Strandspaziergänge, die ich je gemacht habe.

Das Zelt hat den Sturm zum Glück auch unbeschadet überstanden. Morgen müssen wir unseren Ausflug leider beenden, denn übermorgen ist unser spontaner Kurzurlaub schon wieder vorbei. Unser letzter Tag beginnt dann auch etwas abrupt, als plötzlich ein Mann durch unsere Zelttür guckt. Er klärt uns auf, dass die Jugendherberge nur im Sommer betrieben wird und auch nur dann das Zelten erlaubt ist. Doch davon lassen wir uns nicht aus der Ruhe bringen, wir bauen unser Zelt ab und verbringen einen sonnigen letzten Inseltag. Nun, über ein halbes Jahr später, merke ich, während ich in Erinnerungen schwelge: Ich bin längst wieder überfällig.