Stoffmarkt Holland

Foto: Stoffmarkt Holland

Der Stoff, aus dem meine Träume sind

Der Bremerhavener Stoffmarkt gehört für mich zu den festen Terminen im Jahr. So wie Weihnachten oder Geburtstag. Doch während ich mich mit Grauen an mein erstes Mal erinnere, schlendere ich heute mit Professionalität an all den stofflichen Verlockungen vorbei. Das war nicht immer so.

Die Erinnerung an meinen ersten Besuch auf einem Stoffmarkt ist das Grauen pur – so im Nachgang. In dem Moment war ich allerdings die personifizierte Glückseligkeit. Stoffe in allen Farben und Mustern bis zum Horizont. Nähzubehör, Schnittmuster, Garne. Alles da. Nur leider keinerlei Vorkenntnisse. Denn eine Stricklisel ist keine Nähmassel.

Das kann ich ja immer mal gebrauchen.

Was einem eine Strickmasche locker verzeiht, wird von Stoff und Nähmaschine gnadenlos zerrissen. Wolle ist eben kein Stoff. Eine bittere Erkenntnis. Davon wusste ich aber damals noch nichts. Denn ich hatte zu dem Zeitpunkt weder Näherfahrung noch eine Maschine. Deshalb kam es, wie es kommen musste: In einer kompletten Reizüberflutung kaufte ich ohne Sinn und Verstand. Bis das Portemonnaie leer und unzählige Plastiktüten voll waren. Frei nach dem Motto: “Das kann ich ja immer mal gebrauchen.” Das ist allerdings nur die gefühlte Wahrheit.

Horror in Hosenform

Eigentlich ist mir jegliche Handarbeit bereits von Kindesbeinen verhasst gewesen. Denn ich musste das anziehen, was meine Mutter sich zum Projekt gemacht hatte. Damals war die Burda eine Bibel. Ergebnis: ein Alptraum grelllilafarbenem Samt. Der vorgegebene Schwierigkeitsgrad “leicht” für diese Hose untersagte Taschen, Reißverschluss und Knopf. Er gab einen Gummibund vor. Keiner kann sich vorstellen, wie uncool das Ding war und wie oft mich in der Schule wegen der Hänseleien geprügelt habe.

Mit dieser Vorbelastung war meine Note im Schulfach Handarbeit gesetzt. Und an der war auch nicht zu rütteln. Sticken war für mich genauso unbegreiflich wie die Relativitätstheorie. Mein gehäkelter Topflappen hatte mehr Ähnlichkeit mit einer nassen Riesenalge. Doch nach unzähligen selbst gestrickten Pullovern lag auf einmal diese Nähanleitung auf meinem Tisch.

Die Beschreibung zu meinem Schwierigkeitsgrad-leicht-Projekt hätte auch in mongolischer Sprache geschrieben sein können: Nahtzugabe, Rollschneider, Saumnaht. Alles Fehlanzeige. Und nein, damals war ein mobiles Endgerät noch nicht Standard in jedem Haushalt, YouTube noch nicht überschwemmt mit Tutorials, Pinterest in ganz weiter Ferne. Mir blieb nur eins: den Flugplan zusammenfalten und ab in den nächsten Nähkurs.

Der Pizzaschneider

Der hat es dann aber gebracht. Als blutiger Anfänger schleppte ich meine neugekaufte Nähmaschine donnerstags in die Volkshochschule. Lernte, dass ein Rollschneider nur Ähnlichkeit mit einem Pizzaschneider hat und dass eine Stoffschere unter gar keinen Umständen zweckentfremdet werden darf. Und so vollendete ich mein erstes Projekt. Ich habe es zwar nie getragen. Aber egal. Der Anfang war gemacht. Jetzt ging es dem Stoffberg an den Kragen.

Was ich hab, das hab ich.

Gefühlte Wahrheit, Teil II: Die muss man sich eingestehen, wenn sich nach zehn Jahren noch immer Stoffe vom ersten Stoffmarkt in mehreren Kommoden wiederfinden, Diese Entdeckung aber einher geht mit einer tiefen Befriedigung. Gefühlte Wahrheit, Teil III: “Was ich hab, das hab ich”, ein Satz, der sich bis heute plausibel anhört. Und das immer wiederkehrende Versprechen: “Beim nächsten Stoffmarkt wird alles anders”.

Dieses Versprechen habe ich zumindest in Teilen umgesetzt. Der nächste Besuch war “projektbezogen”. Heißt: Für dieses Kleid brauche ich so und so viel Stoff. Und nur das wird gekauft.” Doch so wie sich Männer auch noch einen dritten Akkuschrauber kaufen, bekommen Frauen in einem DIY-Modus Schnappatmung, wenn sie in die Umlaufbahn der Stoffstände einschwenken.

Der Ferrari-Puls

Mit einem Puls von 180 ist Schluss mit Entspannung. Die Sauerstoffversorgung für das Oberstübchen ist gekappt. Das Messitum hält Einzug. Egal, was bereits in heimatlichen Kommoden gehortet wird, egal, welche Nähprojekte es seit gefühlten 1000 Jahren nicht in den Schrank geschafft haben: Es wird gekauft, als gebe es kein Morgen. Von einem weiteren Stoffmarkt mal ganz abgesehen.

Von weitem erkennt man sie: die Laien. Behangen mit Plastiktüten wie ein Christbaum schleppen sie ihre Beute nach Hause. Oder Frauen, die ihren Lebensabschnittsgefährten mitnehmen. Mädels, kein Mann würde auf die Idee kommen, euch mit in den Baumarkt zu nehmen, um Schrauben zu kaufen. Lasst sie zuhause. Außer sie spielen den Christbaum und helfen beim Tragen. Und zwar ohne zu nörgeln. Auch Hunde quälen sich nur zwischen drängelndem Volk, das auch gerne mal einen Kinderwagen als Waffe einsetzt, um schnell bis zur ersten Reihe zu stürmen. Ein Stoffmarkt ist auch immer ein bisschen wie Krieg.

Der Profi hat eine große Einkaufstasche dabei, behält seine Kohle in der einen Hand, während er in der anderen eine vorbereitete Liste abarbeitet. Der weiß, wie viel und welchen Stoff man für eine Beanie braucht und setzt sich ein Limit. Die EC-Karte bleibt natürlich zuhause, damit der Jäger und Sammler in uns chancenlos ausgebremst wird. Erst wenn die Liste abgearbeitet und noch Geld vorhanden ist, genehmigt er sich eine zweite Runde. Wenn denn noch Geld da ist. Und kauft all das, was man ja immer mal gebrauchen kann. Auch wenn der Profi weiß, dass das nur eine gefühlte Wahrheit ist.

Die nächsten Stoffmärkte

Hamburg: Montag, 1. Mai 2017, 11 bis 17 Uhr, Alsterdorfer Markt
Oldenburg: Sonntag, 28. Mai 2017, 11 bis 17 Uhr, Pferdemarkt
Hannover: Samstag, 24. Juni 2017, 10 bis 17 Uhr, Am Steintor

Weitere Informationen und Termine gibt es hier.

One Comment

  1. Juliane

    Großartiger Beitrag. Der hätte von mir sein können. Mein erster Besuch war so planlos und chaotisch wie du ihn beschrieben hast, inklusive EC-Karte mitgenommen 😀 Mittlerweile bin ich vorbereitet aber das ist nur die halbe Wahrheit 😉 Aber diesmal wird alles besser…

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