Foto: Martin

Das Tattoo, das mich zum Nordkind machte

Wie in Sexualkunde, fing alles mit einer Banane an. Die kann man gut als Tattoo-Dummy benutzen. Das war mir aber zu langweilig, also stach ich mir einen Kreis auf den Arm. Heute habe ich über 50 Tattoos. Viele davon habe ich selbst gestochen. Ohne Maschine. Die wenigsten sind im Studio entstanden. Jedes Tattoo erzählt seine eigene Geschichte. Der Anker auf meinem Daumen erzählt, wie ich zum Nordkind wurde.

Cuxhaven. Es ist kalt draußen, deshalb gibt es drinnen viel Rum. Ein paar von den Leuten, die bei Mark im Wohnzimmer sitzen, kenne ich. Die meisten kenne ich nicht. Es ist schon spät, als ein Kerl um die dreißig durch den Raum zu mir herüberruft: “Digger, war auf deinem Körper kein Platz mehr?” Er ist untersetzt und hat große Hände, seine Stimme ist kratzig und ein bisschen schrill. Er trägt ein schwarzes Metallica-T-Shirt, darüber ein kariertes Hemd, offen und mit hochgekrempelten Ärmeln. Auf dem Kopf trägt er einen schwarzen Beanie, so wie die Fischer sie tragen, mit freien Ohren und so. Die Leute nennen ihn Flex.

“Was meinst du?”, frage ich ihn.

“Deine ganze Hand ist tätowiert”, sagt Flex. “War auf deinem Körper kein Platz mehr, oder was?”

“Doch, da ist noch Platz”, sage ich und nehme einen Schluck vom Rum. Ich sitze an dem runden Tisch im Wohnzimmer, wo auch die anderen sitzen und Rum trinken und sich quer über den Tisch unterhalten. Durch die Boxen scheppert irgendein Ska-Zeug. Flex steht im Türrahmen und mustert meine Hand. Er hat den ganzen Abend kein Wort mit mir geredet.

“Warum ist deine Hand dann tätowiert?”, fragt er.

“Weil ich Bock darauf hatte.”

“Das macht man nicht.”

“Wieso?”

“Weil das so ist, Digger.”

“Weiß ich nichts von. Ich hatte Bock darauf”, sage ich. “Bist du tätowiert?”

“Hab ‘n paar, ja. Auf dem Rücken eins und auf dem Arm hier”, sagt er und klopft sich mit der flachen Hand auf den linken Oberarm. Er sieht ein bisschen aus wie Pop-Eye im Gesicht. “Aber meine Hand würde ich nicht tätowieren, bevor der Rest nicht voll ist”, sagt Flex und verschränkt die Arme vor der Brust.

Ich frage mich, ob er sich mit mir prügeln will

“Kannst du ja auch so machen. Ich habe es halt anders gemacht.” Er fixiert mich mit seinen Augen und ich frage mich, ob er sich jetzt mit mir prügeln will. Dann blickt er in sein Glas, sieht wieder mich an, kneift ein Auge zu und kippt den Rum runter. Er atmet tief aus, schüttelt den Kopf und sagt: “Bist ‘n komischer Kerl, Digger.”

“Mag sein”, sage ich und proste ihm zu. Der Rum brennt mir den Rachen runter.

Flex packt sich einen Stuhl und kommt um den Tisch herum. Er sagt zu dem Kerl, der neben mir sitzt, dass er Platz machen soll, und dann stellt Flex den Stuhl mit der Lehne nach vorne auf den grünen Teppich, setzt sich breitbeinig hin und legt die Arme vor sich auf der Stuhllehne übereinander.

“Was hast ‘n da überhaupt auf deiner Hand für ‘n Zeug drauf?”, sagt er und packt sich meine Hand, so wie er den Stuhl gepackt hat.

“Wer hat ‘n die gemacht?”, fragt Flex mit gerunzelter Stirn.

“Ich.”

“Du?”

“Ja, ich.”

“Du bist ja verrückt, Mann”, sagt Flex und sieht sich meine Hand noch näher an.

Lass dir doch von Martin ein Tattoo stechen

Gegenüber von uns sitzt Mark. Er sieht müde aus, aber er grinst und schaut Flex dabei zu, wie der meine Hand mustert. “Ey Flex”, sagt Mark nach einer Weile, “Lass dir doch von Martin ein Tattoo stechen.”

Flex blickt auf, sieht Mark an und dann lacht er laut. “Hau ab, Digger. Auf keinen Fall. Jetzt, oder was?”

Mark kratzt sich am Kinn, zuckt mit den Schultern und sagt: “Weiß nicht, dachte ja nur…”

Flex lacht und nimmt einen großen Schluck vom Rum.

“Wieso nicht? Ich wohne gleich um die Ecke. Kann das Zeug schnell holen.” Keine Ahnung, warum ich das sage. Es ist schon halb zwei und ich bin mir nicht sicher, ob meine Hand noch ruhig genug ist, um einem Typen, den alle Flex nennen, zu tätowieren.

Wie im knast

“Jetzt?”, wiederholt Flex und hebt eine Augenbraue. Mark reibt sich die Hände. Er sieht jetzt nicht mehr müde aus. Seine Augen glänzen. “Na, Digger, dann los, was?”, sagt er und schlägt auf den Tisch. Die anderen unterbrechen ihre Gespräche und sehen zu Flex und mir. Verdammt, denke ich, es ist zu spät. Und ich denke, das gleiche dachte Flex auch. Er steht auf, trinkt sein Glas aus und sagt: “Lasst mich bloß in Ruhe, ihr Nacken. Ich geh schiffen.”

Als er zurückkommt, will Flex wissen, was ich ihm denn stechen könnte.

“Was Kleines. Ein kurzes Wort, ein kleines Symbol, oder so. Sonst dauert es zu lange. Ich mache das nur mit Nadel und Farbe. Wie im Knast. Aber es gibt da eine Bedingung: Wenn ich dir was steche, musst du mir auch was stechen.”

Er lacht und schüttelt den Kopf. “Was?”

“Na, wenn ich dir was steche, musst du mir auch was stechen. Das ist der Deal. So mache ich das immer, wenn ich jemandem was tätowieren soll.”

“Ich habe das noch nie gemacht, Digger.”

“Das geht den meisten so, Digger.”

Flex starrt mich skeptisch an. Ich glaube, er will herausfinden, ob ich ihn verarsche. Dann sagt er: “Na gut, aber wenn das dann scheiße aussieht, ist das nicht mein Problem.”

“Das gleiche gilt für dich ja auch. ”

“Du wirst das aber nicht scheiße machen, klar?”

“Werde mir Mühe geben.”

Farbe, Nadeln, Klebeband und vaseline

Ich stehe auf und ziehe mir die Jacke an. Irgendwer will wissen, ob wir das jetzt wirklich durchziehen, und ich sage ja. Dann verlasse ich die Wohnung und gehe hinaus. Es weht ein ordentlicher Wind durch die Straße. Ich vergrabe meinen Kopf im Kragen der Jacke und laufe mit großen Schritten die dreihundert Meter zu meiner Wohnung. Als ich die Tür aufschließe und in die dunkle Wohnung trete, versuche ich leise zu sein. Aus dem Schlafzimmer höre ich die Stimme meiner Frau. “Da bist du ja endlich”, flüstert sie. “Ja, aber nur kurz. Ich hole nur schnell was. Schlaf weiter”, sage ich und gehe ins Arbeitszimmer. Ich höre, wie sie stöhnt und sich im Bett umdreht.

Im Regal finde ich die hölzerne Kiste mit der schwarzen Farbe, den etwa 100 Nadeln, den Stabilo-Stiften, dem Klebeband, der Vaseline und dem Desinfektionsmittel. Ich nehme die Kiste und gehe auf Zehenspitzen langsam durch den Flur bis zur Tür. Für einen Moment bleibe ich im Türrahmen stehen und überlege, ob ich einfach hierbleiben soll. Ich bin müde und betrunken und weiß, wenn ich jetzt zurück zu den Jungs gehe, wird es spät werden. Meine Frau wird sauer sein und ich werde einen Mordskater haben. Und ein Tattoo von einem Typen, den ich kaum kenne. Dann öffne ich die Tür und gehe hinaus.

Ohne Maschine

In Marks Wohnung ist es warm. Mir beschlagen sofort die Gläser meiner Brille. Es riecht bittersüß nach Alkohol und Aschenbecher. Durch die Boxen wabert jetzt Reggae. Auf dem Tisch steht eine Arbeitslampe und drum herum wurde feucht gewischt. Die Jungs sitzen in zwei Reihen um die hellleuchtende Lampe herum und schauen alle gleichzeitig auf, als ich mit der Kiste ins Wohnzimmer komme. Dann grölen und lachen sie und trommeln auf den Tisch.

Flex sitzt auf einem der zwei Stühle vor der Lampe, er raucht und trinkt Rum und grinst verwegen. Ich werfe meine Jacke auf das weiße Ikea-Sofa, das im Nebenzimmer steht, und setze mich neben Flex. Er gibt mir ein Glas Rum und ich drehe mir eine Zigarette. Und während ich ihm erkläre, wie man sich tätowiert, ohne Maschine, ohne Vorlage, starren die anderen uns mit großen Augen an.

“Du klebst die Nadel mit Panzerband an den Stabilo. Etwa so. Die Farbe kommt in diese kleinen Behälter Hier. Dann schmierst du die Haut, wo das Tattoo hinsoll, mit etwas Vaseline ein, und dann geht ‘s los. Mehr ist ‘s eigentlich nicht. Guck, wie ich es gleich mache”, sage ich.

“Ist ja halb so wild”, sagt Flex und zuckt mit den Schultern.

“Eigentlich ganz easy. Musst halt nur zwischendurch mit Küchenpapier die Farbe von der Haut wischen, etwas Vaseline nachtragen und die Nadel zwischendurch in die Farbe tunken. So nach jedem fünften Punkt ungefähr.”

“Pff, jaja.”

“Okay. Und was soll ich dir stechen?”, frage ich.

“Moin.”

“Okay. Und wohin?”

“Hier“, sagt Flex und streckt mir den Mittelfinger ins Gesicht. „So an die Seite, dass man es nicht sofort sieht.”

“Auf den Finger?”

„Ja.“

„Okay.”

“Und ich steche dir dann einen Anker“, sagt Flex mit einem breiten Grinsen. „Bist ja jetzt Cuxhavener.”

(Foto: Martin)