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Magaret Hoffmann: „Die Realität ist schlimmer als jeder Tatort“

Sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, häusliche Gewalt: Der WEISSER RING ist ein gemeinnütziger Verein, der sich um Opfer von Kriminalität jeglicher Art kümmert. „Wir leisten menschlichen Beistand, helfen bei Behördengängen, vertreten Opfer vor Gericht und machen Präventionsarbeit”, erklärt Magaret Hoffmann, Leiterin der Außenstelle Bremerhaven. „Vor allem geht es uns aber darum, Betroffenen zuzuhören, ihr Leid und ihr Schicksal anzuerkennen.” Nach Außen hin sei das nämlich nicht immer der Fall: „Vor allem dann nicht, wenn sich Situationen noch in der rechtlichen Grauzone bewegen. Wie bei den Vorstufen von Stalking zum Beispiel.”

Die schlimmsten Fälle, die ich je hatte? Die Frage ist schwierig zu beantworten, sagt mir Magaret. Wir haben in einem kleinen weißen Büro Platz genommen. „Wahrscheinlich die, in denen Kinder betroffen sind. Die Vorstellung, dass ein Kind sieht, wie der Vater die eigene Mutter umbringt, ist schrecklich. Die Realität ist einfach schlimmer als jeder Tatort, sage ich immer. Sie ist schlimmer als jeder Krimi, auch als die schwedischen.“ Magaret hat ebenfalls ein Kind. „Ich hatte allerdings das große Glück, dass ich es immer gut geschafft habe, Distanz zu meiner Arbeit zu wahren. Wenn du solche Geschichten mit nach Hause nimmst, brichst du früher oder später zusammen. Das geht nicht.” Für die Mitarbeiter des WEISSEN RINGS gebe es daher auch entsprechende Treffen, in denen sie sich über das Erlebte austauschen könnten. Kollegiale Supervision.

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Ein buntes Team mit vielen Kompetenzen

Magaret Hoffmann ist seit 1995 ehrenamtliche Mitarbeiterin beim WEISSEN RING in ihrer Heimatstadt Bremerhaven. „Genau genommen habe ich mich schon vorher engagiert”, sagt sie. „Die Familienpause kam dazwischen.” Von Beruf ist Magaret Juristin. Ihr Schwerpunkt: Opferschutz. „Durch meinen Job habe ich früh gemerkt, dass Opfern von Straftaten viel zu wenig Hilfe zukommt”, erklärt sie ihr ehrenamtliches Engagement. Heute befindet sie sich im Übergang zur Rente: „Ich habe gerade mein Büro aufgelöst. Das war eine Heidenarbeit, wie du dir bestimmt vorstellen kannst.” Für die letzten Arbeiten habe sie sich daher im Büro eines Kollegen „einquartiert”.

Mit diesem Umzug ist auch die Außenstelle des WEISSEN RINGS gewandert, in die Borriesstraße 21 in Bremerhaven. „Na ja, eine richtige Adresse haben wir eigentlich nicht. Ich sitze eben hier. In meiner Rolle als erste Anlaufstelle. Der WEISSE RING hat 420 Außenstellen in Deutschland. Wir geben die Spendengelder lieber für andere Dinge aus als für Miete.”  In jedem Bundesland gebe es aber ein Landesbüro. „Die Betreuung klappt auch ohne feste Außenstelle super! Wir treffen uns mit Betroffenen meistens eh in ihrer eigenen Wohnung, um das Gefühl von Sicherheit zu wahren.” Außer wenn die Wohnung selbst der Tatort sei, ergänzt Magaret, dann wäre es auch in einem Café möglich.

Als neu gewählte Landesvorsitzende in Bremen, kommt auf die gebürtige Bremerhavenerin noch mehr Arbeit für den WEISSEN RING zu. „Vielleicht ganz gut, dass ich jetzt in Rente gehe und die juristische Tätigkeit zurückschraube”, scherzt sie. Wobei sie als Selbstständige immer genug Freiheiten gehabt hätte, um Ehrenamt und Beruf unter einen Hut zu bekommen. „Früher habe ich auch die juristische Begleitung von Betroffenen übernommen, jetzt kümmere ich mich hauptsächlich um die Koordination von Fällen”, erzählt sie von ihren Aufgaben. „Wenn mich die Polizei anruft und mir einen Fall vermittelt, überlege ich, welcher ehrenamtliche Mitarbeiter am besten geeignet wäre, um den jeweiligen Betroffenen zu begleiten.” Denn: Nicht jeder könne und wolle alles machen. „Wir sind ein buntes Team mit unterschiedlichen Kompetenzen: ehemalige Polizisten, Psychologen, Anwälte, Container-Fahrer, Ingenieure. Ganz verschieden.” Nachdem sich jemand für eine aktive Mitarbeit entschieden habe, folge die Ausbildung. Der WEISSE RING habe extra eine Akademie dafür ins Leben gerufen. „Mir gibt das Ehrenamt unglaublich viel. Es ist ein schönes Gefühl helfen zu können. Im Endeffekt ist es ja ein Geben und Nehmen.”

Für das opfer und seine Rechte einstehen

Der Verein ist in mehreren Ländern tätig, erzählt Magaret. Zum Schutz von Opfern und ihren Familien. Gegründet wurde er 1976 in Mainz, unter anderem vom Fernsehjournalisten Eduard Zimmermann, der vielen noch als Moderator der Sendung „Aktenzeichen XY…ungelöst” bekannt sei. „Wir finanzieren uns durch Mitgliedsbeiträge und Spenden. Aber auch durch Stiftungen, Nachlässe und Zuweisungen von Geldbußen.” Öffentliche  Zuschüsse nehme der WEISSE RING nicht in Anspruch.

ZIVILCOURAGE IST NIE OUT, DENN ES WIRD IMMER MENSCHEN GEBEN, DIE IN BRENZLIGEN SITUATIONEN EINGREIFEN UND ANDERE, DIE LIEBER WEGSCHAUEN. EDUARD ZIMMERMANN

„Unsere Arbeit ist enorm wichtig”, betont Magaret. Opfer müssten gehört werden. „Wir treten auch für ihre Rechte ein.” Rechte, die leider nicht besonders publik seien. Wie das sogenannte Opferentschädigungsgesetz (seit 1976): „Wenn eine Kassiererin überfallen wird und danach arbeitsunfähig ist, hat sie durch dieses Gesetz Anspruch auf lebenslange Unterstützung, nicht nur auf eine 1-mal Zahlung.” Deutschland sei hier im Vergleich zu anderen Ländern allerdings federführend, räumt Magaret ein. „Auch Krankenkassen weisen jetzt auf das Gesetz hin.”

Die Ehrenamtlichen des WEISSEN RINGS kümmern sich auch um das „Zeugenbetreuungszimmer” im Amtsgericht Bremerhaven. „Das Zimmer ist wie ein Wohnzimmer eingerichtet”, beschreibt Magaret die Räumlichkeiten im Amtsgericht. „Zeugen können sich dort aufhalten, um während der Wartezeit nicht mit dem Täter konfrontiert, oder sogar von ihm bedrängt zu werden.” Ein Hinweis auf dieses Angebot stehe auf der Ladung zum Gericht. „Die Zeugen können sich schon vorher melden und einen Vorab-Besuch vereinbaren.” Hier ginge es wieder darum, ihnen die Angst (vor dem Unbekannten) zu nehmen und ihnen dadurch das Gefühl von Sicherheit zu geben.

„Vertraue deinem gefühl”

Um ein Ehrenamt im WEISSEN RING auszuüben, sei zuerst einmal eine Mitgliedschaft nötig. „Man muss aber nicht unbedingt Opfer sein, das heißt einen persönlichen oder emotionalen Bezug zur Sache mitbringen”, sagt die Außenstellen-Leiterin. In manchen Fällen könnte das auch kontraproduktiv sein. Bei einer aktiven Mitgliedschaft kämen noch weitere Voraussetzungen dazu, ein erweitertes Führungszeugnis zum Beispiel. Bei Interesse müsse man zusätzlich Aktive begleiten und an Grundseminaren teilnehmen. „In Bremerhaven treffen wir uns ein Mal im Monat. Im Gemeinderaum der Großen Kirche. Um uns auszutauschen und, wie gesagt, um unseren eigenen Seelenfrieden zu erhalten.” Jedes Mitglied leiste im WEISSEN RING so viel, wie es kann, sagt Magaret noch im Anschluss: „Die Arbeit im Verein lässt sich natürlich nicht steuern. Niemand weiß, wann ein Betroffener anruft. Um alles koordinieren zu können, muss ich einen Überblick über die Kapazitäten der einzelnen Mitarbeiter haben. Vor allem über die zeitlichen. Dann ist alles in Ordnung.”

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Und wie läuft die Betreuung im WEISSEN RING ab? „Das erste was kommt, ist ein Gespräch. Um zu sehen, was das Opfer braucht.” Das sei für viele bereits ein großer, aber auch ein „heilender” Schritt. „Sich uns anzuvertrauen, hilft vielen schon ein Stück weiter.” Besonders dann, wenn sich die Erfahrungen von Betroffenen noch in der Grauzone bewegen würden. „Manchmal sind sie selbst unsicher, was gerade mit ihnen passiert. Es ist eben nicht immer alles schwarz und weiß im Leben.” Wie die Anfänge von Stalking: „Darüber haben wir ja eben schon einmal gesprochen: Schenkt dir jemand am Arbeitsplatz immer wieder Blumen, sagen die Kollegen vielleicht ‚Ach, das ist doch nett. Hab dich nicht so’. Wir hingegen sagen ‚Vertraue deinem Gefühl’. Dieser Satz ist einer der wichtigsten Bausteine in der Präventionsarbeit.” Meistens täusche die eigene Intuition nämlich nicht. „Das versuchen wir auch Kindern deutlich zu machen. Im Kontext von sexuellem Missbrauch.” Ziel des WEISSEN RINGS sei immer auch „Hilfe zur Selbsthilfe”.

Trotz vieler Straftaten, die heutzutage verübt werden, sei Magaret sehr glücklich darüber, dass vieles, Vergewaltigung in der Ehe etwa, immerhin weniger stark tabuisiert sei als es früher der Fall war. „Frauen waren so lange Zeit rechtlos. Das ist heute anders.” Zum Glück: Häusliche Gewalt sei nämlich eines der gefährlichsten Aufgabenfelder des WEISSEN RINGS: „Menschen, die ihren Partner nicht gehen lassen wollen, bewegen sich oft zwischen Hass und Liebe. Sie brauchen den Partner und wollen ihn gleichzeitig umbringen.” Es gebe auch Fälle, in denen Männer von häuslicher Gewalt betroffen seien. „Da sollte man sich nicht täuschen. Oder die Augen verschließen.”

Junge Arbeitsgruppe in Bremerhaven

Viele würden den Verein noch wegen TV-Moderator Eduard Zimmermann kennen. sagt Magaret zum Abschluss unseres Gesprächs. „Im letzten Jahr gab es eine ganz erfolgreiche Kampagne mit Tatort-Kommissaren. Anlässlich des 40-jährigen Bestehens.” Darunter auch Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär (Tatort Köln), Adele Neuhauser und Harald Krassnitzer (Tatort Wien) und Ulrike Folkerts (Tatort Ludwigshafen). Oliver Mommsen vom Tatort Bremen äußerte sich folgendermaßen zu seinen Beweggründen, den WEISSEN RING zu unterstützen:

„Als Opfer stehst du erst einmal alleine da, bist plötzlich und brutal aus deinem Leben rausgeschubst. Da brauchst du jemanden der mit dir redet und sich um dich kümmert. Beim WEISSEN RING gibt es Ehrenamtliche, die werden geschult und wissen, was nach einer Straftat zu tun ist. Diese Hilfe ist logisch einfach und klar – deshalb bin ich dabei.”

Trotz so prominenter Unterstützung, könne aber noch einiges für die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins getan werden, findet Magaret. „Wir sind hier in Bremerhaven eine Rentner-Gang”, sagt sie mit einem Lachen auf den Lippen. „Es sind so viele junge Leute von Straftaten betroffen – wir würden uns freuen, wenn sich Gleichaltrige finden, die sich engagieren und sich hier um Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungen kümmern würden. Jeder, der Lust hat, kann sich bei uns melden.”

Überblick

WEISSER RING
www.weisser-ring.de

Außenstelle Bremerhaven:
Magaret Hoffmann
Telefon: 0151/55164693
Mail: [email protected]

Landesbüro Bremen:
Sögestraße 47 in Bremen
Telefon: 0421/323211
Mail: [email protected]

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Janina

Über Janina Kück

Hat zwei Herzen in ihrer Brust: Das einer kleinen Madame mit einem Faible für französische Mode - Ringelshirts, rote Lippen und Kurzhaarschnitte - und das eines RockʹnʹRoll-Girls, für das laute und wilde Konzerte genauso wichtig sind wie Sauerstoff. Ihre Liebe für Rotwein und Kaffee ist irgendwo dazwischen. Genauso wie ihre dunkle Leidenschaft für Pete Doherty.

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